4. Signs


Am nächsten Morgen fühlte er sich wie gerädert! Der Schädel dröhnte und er fragte sich, warum er sich nicht schon längst angewöhnt hatte, Schmerztabletten am Abend schon bereit zu legen. 

Mühsam klaubte er sich aus seinem Bett und taperte ins Badezimmer, wo er seine Medikamente aufbewahrte, und suchte nach der richtigen Packung. Schließlich spülte er eine Tablette mit einem Becher Wasser herunter. Bald würde es besser werden. 

Doch bevor es dazu kommen konnte, klingelte sein Handy. Angelo. 

„Ja?“ „Na, du klingst ja fit.“ „Ironie?“ „Wie kannst du auch nur erwägen, dass das ernst gemeint sein könnte? Wo steckst du?“ 

Oh, hatte der eine Laune. 

„Zu Hause?“ 

Er bekam ein genervtes Stöhnen zur Antwort. 

„Was?! Wo soll ich denn sonst sein?“ „Im Schloss!“ „Im Schloss?“ „Wir wollten uns treffen. Schon vergessen?“ 

Paddy massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die schmerzende Stirn, hinter der es nach wie vor so schrecklich pochte. Dann kniff er die Augen zusammen und versuchte, die Uhr an der Wand zu erkennen. „Wie spät ist es denn überhaupt?“

„Halb elf!“, antworte Angelo im gleichen Moment, als Paddy es auch erkannt hatte. „Ey, sorry. Ich komm gleich.“ „Wann warst du wieder im Bett?“ „Geht dich nichts an.“ „Das sagt alles. Bis gleich.“

Paddy legte auf, ohne sich zu verabschieden. Verschlafen wischte er sich durch das Gesicht. Dusche, Kaffee! Da führte kein Weg dran vorbei! Da konnte Angelo sich seinetwegen gerne auf den Kopf stellen. Aber er roch wie eine ganze Kneipe. 

Heidewitzka. Seinem Magen ging es auch nicht besonders. Vielleicht war der letzte Drink doch nicht die beste Idee gewesen. Es half alles nichts. Er steckte eine Filtertüte in die Maschine und füllte ein paar Löffel gemahlenen Kaffee hinein. Dann drückte er auf den Knopf und ging unter die Dusche. 

Welch himmlisches Gefühl, wie das heiße Wasser den Dreck der letzten Nacht abspülte. 

Plötzlich schmunzelte er. Es war ein guter Abend gewesen, manches sogar besonders gut. 

Er stellte die Dusche wieder ab, öffnete beide Türen und sah im Schlafzimmer in seinen Kleiderschrank. Durch die geöffnete Terrassentür verzog sich der feuchte Wasserdampf, doch heute kam im Gegensatz zu gestern von der Sonne erwärmte Luft herein. Vögel untermalten das Sommergefühl mit ihrem munteren Gesang. 

Er entschied sich für eine knielange grüne Cargohose und ein schwarzes T-Shirt. Dann füllte er den Kaffee in eine Thermoskanne und einen Coffee to go Becher, schnappte sich seine Notizen und seinen Schlüssel und machte sich auf den Weg. Doch nach wenigen Minuten legte er bereits einen Zwischenstopp ein und fand sich vor Lindas Pub wieder, wie zu erwarten war er um diese Uhrzeit noch geschlossen. Doch ein Blick durchs Fenster zeigte, dass die Chefin bereits mit Vorbereitungen beschäftigt war und vorsichtig klopfte er mit dem Knöchel gegen die Scheibe. Linda erkannte ihn sofort und brachte ihm seine Gitarre direkt raus. 

Als er nach einer guten halben Stunde auf dem Schlossgelände parkte, hatte er den Becher bereits geleert, schulterte seine Gitarre, klemmte sich Notizen und Kanne unter den Arm und suchte seine Geschwister, die er im Garten fand. 

„Na endlich!“, kommentierte Jimmy sein spätes Auftauchen, doch Paddy ging nicht weiter darauf ein, setzte sich neben den anderen ins Gras und blickte in die Runde. „Hi, sorry, guys.“

„Ay, siehst du fertig aus!“, stellte Angelo fest. „Harter Abend?“ 

Paddy warf ihm ein flüchtiges Lächeln zu, nahm dann sein Notizbuch und schlug es auf. 

„Also, falls du es noch nicht mitbekommen hast“, erklärte Patricia, „Das Album ist auf Platz drei.“ „What? Yes!“ Endlich breitete sich ehrliche Begeisterung auf seinem Gesicht aus und die Müdigkeit war wie weggeblasen. Vielleicht stand die Band ja doch nicht kurz vor ihrem Ende. Er spürte, wie zwei Herzen in seiner Brust schlugen.

Sie hatten vor gut einem Monat das LaPatata Album herausgebracht. Erstmals in abgeschwächter Besetzung und die Songs entwickelten sich auch in eine neue Richtung. Als musikalische Leitung war er sehr zufrieden gewesen mit dem Ergebnis. Umso mehr freute er sich, dass es sich auch in den Verkaufszahlen widerspiegelte. 

Er schenkte sich ein wenig Kaffee aus seiner Kanne ein. 

„Gibt es sonst etwas Neues? Was habt ihr gemacht, als ich noch nicht da war?“ „Gefrühstückt“, brummte Joey. 

„Über neue Songs gesprochen. Nach dem Album ist vor dem Album, wie du weißt“, erläuterte Patricia etwas gesprächiger und Paddy nahm es nickend zur Kenntnis. 

Nun ergriff Jimmy seinen Terminkalender und blätterte die Seiten durch. „Nächste Woche ist ein Interview bei Viva. Mittwoch, meine ich…ah…ja. Und Donnerstag Vormittag ein Radiotermin.“  

„Das ist Mist“, stellte Paddy fest und kratzte sich mit der Hand am Kopf, in der er auch seinen Bleistift hielt. Fragend sahen ihn alle an. 

„Ich fahre morgen für ein paar Tage nach Berlin. Donnerstag Abend bin ich aller Voraussicht nach wieder zurück.“ „Was machst du in Berlin?“ Skepsis lag in Angelos Blick, doch Paddy zuckte mit den Achseln. „Urlaub.“ „Wie heißt sie denn?“, stichelte Angelo. 

„Ben und hat einen Drei-Tage-Bart.“ „Dein Geschmack wird immer seltsamer.“ „Ich weiß.“ 

Patricia verdrehte genervt die Augen. „Du fährst kurz nach CD Release in den Urlaub? Das ist ätzend.“ Der Ernst in ihrer Stimme spiegelte sich nicht in seiner Antwort wider. „Es hat sich so ergeben.“ 

Die scheinbare Gleichgültigkeit in seiner Stimme brachte sie noch mehr in Rage, was sie jedoch krampfhaft zu bekämpfen versuchte. Sie stand auf und ging ohne einen weiteren Kommentar hinein. 

„Sie beruhigt sich gleich wieder“, mutmaßte Barbie, lehnte sich zurück und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. 

Er hatte Patricia nachgesehen und wandte sich nun wieder den anderen zu. 

„Ja, das ist ungünstig, das seh ich ein. Aber ich denke nicht, dass wir wirklich alle dabei sein müssen.“ „Vielleicht hätten andere auch gerne mal Urlaub?“, warf Angelo nun auch noch sein Schwert in die die Kerbe. 

„Verschiebt die Termine oder blockt eine andere Woche. Nehmt euch die Zeit für eure Seele!“, schlug Paddy vor.  

„So kurz nach CD Release?! Wie soll das gehen?“, warf Jimmy skeptisch ein. 

„Warum sollte das nicht gehen? Glaubt ihr im Ernst, dass die Leute die Cd nicht kaufen, weil wir eine Woche nirgendwo live zu sehen oder zu hören sind?“ 

Als kein Widerspruch erfolgte, nahm er sich wieder seine Notizen zur Hand. „Eben. Dann sollten wir das Thema jetzt ruhen lassen und produktiv werden.“ 

Tatsächlich waren sie zwei Stunden beschäftigt mit Songs, Melodien und dem Grundkonzept, auf das sie zusteuern wollten. Auch Patricia hatte sich nach kurzer Zeit wieder angeschlossen und verlor kein Wort mehr über den Streit. Barbie hatte für sich beschlossen, dass sie nicht an der neuen CD beteiligt sein wollte. Ihr wurde das alles zu viel. Vor allem Promo und Tour. Für Liveauftritte war ihre Seele einfach zu instabil. Sie konnte und wollte sich das nicht mehr antun. Alle hatten Verständnis, jeder wusste, wie fragil sie seit Jahren war. Dennoch blieb sie bei den anderen und steuerte mit ihrer Erfahrung wichtige Argumente bei. 

Schließlich brauchten sie alle eine Pause. 

„Ich wusste es…“, feierte Angelo, als er hinter Paddys Rücken entlangging. 

„Was?“, hakte dieser irritiert nach. 

„Du hast einen Knutschfleck! Wie alt bist du eigentlich?“, stellte er neckend fest und Paddys Hand fuhr erschrocken an die rechte Seite seines Nackens. 

„Andere Seite“, präzisierte Angelo das Gesehene. „War´s gut?“ „Geht dich nichts an“, wich Paddy aus, doch trotz aller Professionalität konnte er nicht verhindern, dass seine Mundwinkel sich nach oben verzogen. 

„Aha…“, kommentierte Angelo feixend und setzte seinen Weg fort. 

„Nichts ‚aha‘!“, murmelte Paddy halbherzig in seine Richtung. Auch auf den Gesichtern der anderen lag ein belustigter Ausdruck. 

Einen kurzen Moment lang ärgerte er sich über den Knutschfleck und dass er ihn nicht bemerkt hatte. Doch dann stand er auf und entfernte sich ebenfalls von den anderen. Als er außer Sichtweite war, zückte er sein Handy und drückte ein paar Tasten. 

Das Grinsen in seinem Gesicht wurde breiter. Nein, er hatte sich nicht eingebildet, dass sie ihm ihre Nummer gegeben hat. Eigentlich hatte er vorgehabt, mit unterdrückter Nummer anzurufen, aber immerhin hatte er inzwischen mit ihr geschlafen. 

„Paddy, kommst du?“, hörte er Maites Stimme dicht hinter sich. 

Erschrocken ließ er sein Handy sinken, so dass es ihm fast aus der Hand gefallen wäre. 

„Stör ich?“ Sie grinste breit und versuchte, einen Blick auf das Display zu erhaschen, doch er drehte es rasch weg. „Ja.“ „Was Ernstes?“ Sie gab ihm einen seichten Stoß in die Rippen. 

„Ich weiß nicht. Vermutlich nicht.“ 

Sein Verhältnis zu Maite war nach wie vor sehr gut. Deshalb hatte sie seine Urlaubspläne auch nicht kommentiert. Sie wusste, dass er den dringend brauchte. Auch über seine Frauengeschichten musste er bei ihr kein Blatt vor den Mund nehmen. Sie würde es weder verurteilen noch den anderen erzählen. 

„Geh schon mal, ich komm gleich“, bat er sie und sie folgte seiner Bitte. 

Für ein Telefonat hatte er keine Zeit mehr, aber für eine Nachricht würde es noch reichen. 

„Hey Luna. War schön gestern. Ich würde dich gerne wiedersehen. Gruß Paddy.“

Er schickte sie ab und ging zurück zu den anderen. Nach weiteren drei Stunden rauchten allen die Köpfe und sie beschlossen, das Ende einzuläuten. 

„Möchte jemand vielleicht ein Glas Wein trinken?“, fragte Patricia in die Runde und konnte ein paar für die Idee begeistern. Paddy schüttelte jedoch den Kopf. 

„Ich mach mich auf den Weg. Ich muss noch packen für morgen. Meldet euch, falls was Wichtiges sein sollte.“

Er verabschiedete sich und ging zu seinem Wagen. Sobald er konnte, zog er wieder sein Handy aus der Tasche. Nichts. Kein Anruf, keine SMS. Er öffnete die Nachricht und es wirkte, als sei sie gar nicht zugestellt worden. Jetzt überlegte er nicht lange, drückte die Nummer und wartete auf das Freizeichen. Es kam nicht. 

„Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht vergeben.“ 

Ihm klappte die Kinnlade runter. Sie hatte ihm eine falsche Nummer gegeben?! Sie hatte die Nummer kontrolliert und hatte bestätigt, dass sie korrekt sei! Ungläubig schaute er auf das Display. Das war ihm ja noch nie passiert! 

Es ärgerte ihn fast ein wenig, aber auf der anderen Seite fand er ihre Dreistigkeit beeindruckend. 

 

 

 

 

 

 

 


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