Worst Case

Gedankenverloren stand sie auf, um sich im Bad das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen, als im Flur die Tür zur Treppe aufging und Caro hochgewachsen, wie sie war, vor ihr stand.  
Sie war schöner denn je, stellte sie durch ihre verquollenen Augen fest.
„Was machst du denn hier?“ fragte Mel sie überrascht. Ihre Stimme war leicht quäkig, da sie sich vom Weinen noch nicht wieder erholt hatte.  
„Ich wollte noch einmal mit dir reden. Über die Karte.“ antwortete sie traurig.  
Mel ging in ihr Zimmer zurück und Caro folgte ihr.  
„Das ist gerade nicht der richtige Moment dafür. Tut mir leid.“ sagte sie leise. Sie kämpfte damit, ihre Stimme unter Kontrolle zu behalten. - „Was ist denn passiert? Du siehst aus, als hättest du geweint.“ - „Nimm es nicht persönlich, aber ich möchte mit dir nicht darüber reden.“ - „Hat es was mit mir zu tun?“ fragte Caro unsicher. - „Nein, hat es nicht. Wirklich nicht.“ versicherte ihr Mel aufrichtig.
Sie konnte ihr doch nicht davon erzählen! Wie würde es ihr gehen, wenn sie davon erfahren würde? Sie hatte es doch selbst noch nicht verarbeitet. Noch war sie nicht so weit, es auch dem Rest der Welt mitzuteilen.
„Hat es was mit Paddy zu tun?“ hakte Caro nach. - „Nein, nicht direkt.“ Mels Stimme begann zu krächzen, da die Tränen wieder in ihr hochstiegen. Sie füllten ihre Augen und rollten die Wangen hinab.  
„Mensch Maus, was ist denn mit dir los? Komm mal her. Egal, was zwischen uns passiert ist, ich kann nicht einfach daneben stehen, während du weinst.“

Sie zog sie in ihre Arme und Mel hatte heute innerlich einfach keine Kraft mehr, sich dagegen zu sträuben. Sie lehnte den Kopf an ihre Schulter und merkte, wie beruhigend diese Umarmung auf sie wirkte. Caros Ruhe strahlte auf sie ab und ließ ihre Tränen langsam versiegen.  
Als das Schluchzen aufhörte, löste Caro sich von ihr und sah sie an. Sanft strich sie ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht hinters Ohr und lächelte, dann begann sie, leise zu singen. „Aber deine Trauer wird vorbei gehn. Det wes ick, det kann ick dir ansehn. Bald wirst du wieder stolz und glücklich sein, denn du bist schön, sogar schön, wenn du weinst.“  
Es war ein ruhiges Stück aus einem Musical, dass sie beide so gerne mochten. Sie konnte schön singen, das war Mel so bisher gar nicht aufgefallen.  
Ihr wurde ganz warm ums Herz und sie musste ebenfalls lächeln.

Ach Caro.“ seufzte sie und gab dem Gefühl ein winziges bisschen Spielraum, eben dem Gefühl, dass sie sie so vermisst hatte, so sehr sich es auch vor sich selbst verleugnen wollte.
Sie fühlte deutlich die unerklärliche Nähe, die beide seit dem ersten Tag verbunden hatte.  
Die braunen Augen blickten mild auf sie herab und sprachen Bände, während Caro selber schwieg. Caro hatte ihre Finger seicht auf ihre Wange gelegt und Mel ahnte, was nun passieren würde, aber sie wehrte sich nicht dagegen, als Caros Lippen sich ihr vorsichtig näherten. Zaghaft berührten sie sich und sie schloss die Augen.  
Caro ließ ihre Hand langsam von Mels Gesicht hinunter über ihre Hüften wandern. Sie schob sie unter ihr Hemd und streichelte mit den Fingerspitzen zärtlich über ihre nackte Haut.  
Mel begann, schneller zu atmen und zog Caro ihr Hemd über den Kopf.  
Sie wollte sich einfach nur an ihre weiche Haut kuscheln und ihre Wärme in sich aufsaugen.

Sie hatte sich heute so leer gefühlt, war so hin und her gerissen von ihren Gedanken gewesen, dass sie die Zuneigung, die sie nun empfing, als den Halt empfand, der ihr heute so gefehlt hatte.  
Mel spürte ihre Sorgen von sich abfallen und gab sich nur noch dem hier und jetzt hin.  
Caros Hände glitten zärtlich über ihren Körper und halfen auch ihr aus dem Oberteil. Einen Moment verharrten sie in einer liebevollen Umarmung und genossen den wärmenden Körper des anderen, bevor sie sich erneut küssten. Mel wusste im tiefsten Inneren, dass es nicht richtig war und doch half es ihr, die Welt um sich herum ein Stück weit zu vergessen.  
Jäh wurde sie allerdings zurückgeholt, als sie eine Stimme hinter sich hörte.  
„Hallo Mel.“ sagte diese trocken, woraufhin beide erschrocken auseinanderschnellten und zur Quelle herumfuhren.  
Es war Paddy, der mit verschränkten Armen in der offenen Tür lehnte.
„Schatz! Was machst du denn hier?“ - „Schatz? Ich glaube, das kannst du dir sparen...“  
Caro griff hektisch nach ihrem Hemd und zog es sich rasch über den Kopf. „Ich...ich geh wohl besser.“ - „Das denke ich auch.“ erwiderte Paddy bissig.  
Sie näherte sich ihm vorsichtig und drückte sich auf der Seite am Türrahmen vorbei, an der er nicht stand und sah dabei aus, als befürchtete sie, dass er ihr gleich an den Hals springen würde.  
Doch er verfolgte sie nur unbewegt mit den Augen, bis sie die Treppe erreicht hatte. Dann fiel sein Blick auf Mel, die immer noch stocksteif dastand und ihn anstarrte.

Er sah wahnsinnig wütend und verletzt aus.  
„Willst du dir nicht erst mal was überziehen?“ entgegnete er sarkastisch und warf ihr das Hemd zu, das neben ihm auf dem Schreibtisch lag.  
Mit zitternden Fingern fing sie es auf und streifte es schnell über.  
Unsicher machte sie einen Schritt auf ihn zu und wollte vorsichtig die Hände an ihn legen, doch er wich aus.

Lass das bitte!“ wies er sie kalt zurück.  
Er ging ein wenig auf Abstand und sah sie prüfend an. Tränen standen in ihren Augen.  
„Wie lange geht das schon so?“

Mel zögerte. Sie konnte und wollte ihn nicht mehr belügen.  
„Seit meinem Geburtstag...“ flüsterte sie schließlich. - „Seit deinem...?“ Er brach ab und drehte sich zum Fenster um. Mel hatte den Eindruck, dass seine Stimme gezittert hatte.  
Kämpfte er etwa mit den Tränen?
Sie trat näher an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Paddy, es tut mir so leid.“ - „Es tut dir so leid?? Wo seit Wochen etwas zwischen euch läuft und du mir vorheuchelst, dass du mich liebst?! Und fass mich nicht an!“  
Sie zog weinend ihre Hand zurück und setzte sich auf´s Bett, ohne ihre Augen von ihm zu lösen.  
„Liebst du sie?“ fragte er leise nach einem kurzen Moment der Stille.
Mel wischte sich schweigend die Tränen vom Gesicht.  
Sie wusste nicht, was sie antworten sollte.

Nicht so wie dich.“ erwiderte sie schließlich kaum hörbar. - „Alles klar, dann weiß ich, was ich davon zu halten habe.“ Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich zum Gehen um, doch sie sprang auf und stellte sich ihm in der Tür entgegen. „Geh nicht! Bitte geh nicht! Ich will dich nicht verlieren!“ Ihre Stimme überschlug sich, als sie ihn anflehte und wieder hatte sie es gewagt, ihre Hände an seinen Oberkörper zu legen, um ihn am Gehen zu hindern.  
Seine Gesichtszüge entspannten sich unwillkürlich. Nun stand er so nah vor ihr, dass sie sogar seinen Geruch wahrnehmen konnte, und sah sie ruhig an. „Ich denke, dafür ist es zu spät.“  
Neue Tränen kullerten über ihr Gesicht und gaben ihr ein Mitleid erregendes Aussehen. „Sag sowas nicht! Es kann nicht einfach so vorbei sein!“ bettelte sie. - „Nein, Mel, nicht einfach so...du hast es kaputt gemacht.“ sagte er traurig und legte seine Hand kurz auf ihre Wange.  
Die Berührung brannte wieder wie Feuer auf ihrer Haut, so wie sie es am Anfang getan hatte.  
Sie lehnte ihren Kopf dagegen und wollte ihre Hand auf seine legen, doch da zog er sie bereits wieder weg.  
„Weißt du eigentlich, wie es jetzt in mir aussieht? Dass du mir das Herz gebrochen hast?“ - „Ja, ich weiß.“ schluchzte sie. „Und es tut mir so leid!“  
„Gar nichts weißt du! Du hast doch nicht mal annähernd eine Vorstellung davon! Und dass es dir angeblich so leid tut, nimmt mir den Schmerz auch nicht! Nicht nur, dass du mich betrogen hast, ich fühle mich einfach so verarscht, um es mal ganz deutlich zu sagen! Was in den vergangenen Wochen war denn bitte noch gelogen? Wie oft hast du mir erzählt, dass du mich liebst und es gar nicht so gemeint? Wie oft hast du mich geküsst und vielleicht gar nicht an mich gedacht?“ Verzweifelte Traurigkeit stand nun in sein Gesicht geschrieben.  
„Schatz, ich liebe dich! Ich habe es immer so gemeint, wenn ich es gesagt habe!“ - „Es fällt mir im Moment schwer, dir das zu glauben, dir überhaupt irgendwas zu glauben! Aber die ein oder andere Aktion von dir wird mir mittlerweile klar... Die Gedichte, die angeblich an mich gerichtet waren?! Das war doch auch nicht wahr, oder?“ - „Nein, sie waren nicht über dich.“ - „Und das Gedicht, das aus dem Buch gefallen war? War das wirklich von Caro?“ - „Ja.“ Mel schaffte es nicht mehr, ihm in die Augen zu sehen. Sie schämte sich zu sehr. - „Und über...?“ - „...mich.“ antwortete sie leise.  
Sie sah wie seine Adern pulsierten, während er verbittert die Zähne zusammenbiss. „Ich denke, damit ist alles gesagt. Mach´s gut.“ - „Bitte bleib! Ich muss dir noch was sagen!“ versuchte sie ihn vehement weiter aufzuhalten. - „Ich will aber nichts mehr hören! Lass mich bitte durch, ich muss hier weg!“  
Hemmungslos weinend trat Mel beiseite und ließ ihn passieren. Sie sah ihm nach, doch ihre Tränen ließen jegliche Konturen verschwimmen.  
Wimmernd sackte sie auf den Boden und konnte den Fluss der Tränen einfach nicht stoppen.  
Es war vorbei, aus und vorbei.  
Jetzt war das geschehen, was sie immer befürchtet hatte, doch trotz dieser Angst im Nacken, trotz der Entscheidung, die sie in Irland gefällt hatte, war alles wieder aus dem Ruder gelaufen.  
Wieso hatte sie es nicht stoppen können? Warum war sie nicht in der Lage gewesen, sich gegen die Versuchung, sie zu küssen zu wehren?  
Er hatte Recht, sie hatte alles kaputt gemacht...sein Vertrauen, ihre ganze Beziehung.  
Sie stand vor einem Scherbenhaufen und wollte nichts lieber tun, als ihm hinterher zu laufen und ihn in die Arme zu schließen, doch sie wusste, dass es nichts bringen würde. Er würde es nicht zulassen und sie abweisen.  
Und sie konnte ihn verstehen...  
Ihre Seele tat so weh! Sie hatte das Gefühl, dass sich ihr Herz verkrampfte, um nicht im nächsten Moment zu zerspringen.  
Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie sie ohne ihn sein sollte! Und dazu trug sie sein Kind in ihrem Bauch. Jetzt musste sie es alleine groß ziehen, doch wahrscheinlich war es ganz gut gewesen, dass sie es ihm nicht mehr hatte sagen können. Sie wollte nicht, dass er nur wegen des Babys bei ihr bliebe. Sie wollte, dass er um ihrer selbst bleiben würde.  
Aber ob er ihr je verzeihen könnte, was sie getan hatte?

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Kommentare: 21
  • #1

    Melinda (Donnerstag, 11 September 2008 22:52)

    Auuu! In meiner Variante ist Caro ein Junge.Sorry!

  • #2

    melsgesammeltekatastrophen (Donnerstag, 11 September 2008 22:56)

    Hihi, wie kommt denn das? Wird doch geschildert, dass sie ein Mädchen ist :-D

  • #3

    Melinda (Donnerstag, 11 September 2008 23:58)

    Ja, du hast recht. Ich lese die Kapiteln nicht nach der richtigen Reihenfolge, so bin ich ein bisschen überrascht gewesen.
    Du bist so "modern" auf dem moralischen Feld. Ich bin lieber konservativ. Aber ich akzeptiere auf jeden Fall diese komische Variante.

  • #4

    melsgesammeltekatastrophen (Freitag, 12 September 2008 00:09)

    Einstellung hin oder her, aber es wäre durchaus sinnvoll, die Geschichte von vorne nach hinten zu lesen, da sie ja auf Ereignisse immer wieder aufbaut. Nur ein kleiner Tipp. ;-) Hilf t ja auch Missverständnisse zu vermeiden. ;-)

  • #5

    paddy90 (Donnerstag, 26 Februar 2009 16:17)

    ohh nein ist das traurig hoffentlich kommen mel un paddy wieder zusammen *heul*

  • #6

    nicky (Donnerstag, 09 September 2010 08:24)

    tja es musste ja soweit kommen!aber ich bin froh das es passiert ist denn so ist sie wenigstens zu Vernunft gekommen und er weiß endlich bescheid!!! weiter gehts mit Kapitel 17!!

  • #7

    Die Micha (Donnerstag, 09 September 2010 20:02)

    Ich hätte Zeit für Paddy! :-P
    Spaass bei Seite, also wenn das so weiter geht, schlage ich bald mein Bett im Wohnzimmer auf und schlae immer nur nen paar Sekunden und lese weiter! :-)
    Habe mich sogar dabei erwischt wie ich die Hand vor den Mund genommen habe als Paddy ins Zimmer kam, ist ja besser als im Film!

  • #8

    melsgesammeltekatastrophen (Donnerstag, 09 September 2010 20:13)

    Ja, Paddy gegenüber ist es gut, dass es nun endlich raus ist. Aber er tut mir leid :(

    Micha, das ist sooo toll! Freu mich tierisch, dass ich euch so mitreißen kann! Du darfst gerne hier auf der HP zelten!
    Lg an euch zwei!
    Vielen vielen Dank!

  • #9

    melli (Donnerstag, 09 September 2010 20:30)

    haha micha, das gleich hab ich auch gemacht! aber meine hand knallte eher an meine stirn!!!
    so zurück zu kapitel 20 :D

  • #10

    Die Micha (Freitag, 10 September 2010 08:02)

    Ist echt nen komisches Gefühl wenn man sich dabei ertappt, dass man vollkommen in der Geschichte gefangen ist!
    Mache ich schon, hast du mein Zelt noch nicht gesehen??? ;-)

  • #11

    melsgesammeltekatastrophen (Freitag, 10 September 2010 13:36)

    Du meinst das große mit den Bravopostern?! lol

  • #12

    Die Micha (Freitag, 10 September 2010 20:11)

    JA genau das!!! :-D *bekomme mein lachen gerade nicht mehr weg!* :-D

  • #13

    melsgesammeltekatastrophen (Freitag, 10 September 2010 20:33)

    Das, wo ich mir gerade ein Tofuwürstchen vom Grill geklaut habe?

  • #14

    Die Micha (Freitag, 10 September 2010 22:38)

    Ja! Wenn de willst morgen früh mache ich nen lecker frühstück in meinem zelt, bist herzlich eingeladen! :-D

  • #15

    melsgesammeltekatastrophen (Freitag, 10 September 2010 22:42)

    Klingt super! Ich will Rührei, Kakao, Weltmeisterbrötchen, Nutella, Salami, Marmelade und Honig und O-Saft und Gouda und Butter und ein gekochtes Ei und Kaffe und ein Glas Milch dazu. Hm ja, ich glaube das reicht für den Anfang.
    Solltest du noch Croissants haben, nehme ich die aber auch noch dazu :D

  • #16

    Die Micha (Samstag, 11 September 2010 10:32)

    Also auf meinem Frühstückstisch stand wahrhaftig heute: Milch, ein Ei, Nutella, Brötchen und Croissants, Gouda, Butter und Salami. Ich hoffe dir hat's geschmeckt! :-D
    Leider hatte ich kein O-Saft und auch keine Marmelade mehr, Kaffee könnte ich kochen und Honig hätte ich auch noch im Schrank und Kakao habe ich auch noch zu Hause! :-D

  • #17

    Lisa (Samstag, 11 September 2010 11:16)

    Also es ist zwar gut für Paddy,dass es raus ist... aber irgendwie nimmt mich das auch alles ziemlich mit! Als er ins Zimmer kam, stockte mir der Atem. O.O

    Wunderbare Story. Aber ich hoffe noch immer auf friedlichere Zeiten und ein Happy End :P

  • #18

    Bella (Donnerstag, 25 August 2011)

    Eigentlich hab ich die Geschichte ja schon mal gelesen. Aber ich bin auch wie gefesselt und war selbst überrascht, dass Paddy plötzlich in der Tür stand!
    Ich könnte auch auf deiner HP Zelten! Aber Schlaf wird sowieso überbewertet! Die HP zum Schwimmen mitnehmen, das wär was, dann müsst ich nicht so viel ausdrucken :-)

  • #19

    kelfanaeffchen95 (Dienstag, 08 Januar 2013 00:24)

    da treibt es mir echt tränen in die augen... ich kann paddy voll nachempfinden und hab mir jedes detail bildlich vorgestellt ... oh man das ist so spanend ... weiter gehts

  • #20

    Katrinka (Freitag, 01 März 2013 10:41)

    Armer Paddy - da kann man nur mitweinen :-(

  • #21

    Marie (Sonntag, 31 März 2013 11:35)

    neeein neeeeein das darf nicht sein :(((