Einsam

Sie hatte es noch immer nicht geschafft, sich vom Boden aufzuklauben, als ihre Mutter den dritten Stock betrat. Bestürzt rannte sie auf Mel zu und kniete sich neben sie.

Was ist passiert?“ - „Pad...“ schluchzte sie und schnappte nach Luft. - „Was ist mit ihm? Er war doch eben noch da.“ - „Wir ...wir haben uns getrennt.“ - „Warum?“ - „Er hat es beendet...“ - „Oa, wenn der mir noch einmal über den Weg läuft, dann gnade ihm Gott!“ - „Mom, nein. Ich bin Schuld. Ich habe Mist gebaut, aber ich möchte eigentlich nicht darüber reden. Ich kann nicht. Nicht heute.“

Lena sah ihre Tochter mitfühlend an und nickte. Sie schloss sie in ihre Arme und wiegte sie sanft hin und her.

Langsam beruhigte sie sich.

Komm. Leg dich hin. Du bist ja fix und fertig.“ Ihre Mutter zog sie hoch und schob sie Richtung Bett.

Mel wollte nicht schlafen, doch mit dem Gedanken an das Baby, hielt sie es für das Beste, sich wirklich erst mal auszuruhen.

Lena deckte sie zu. Sie setzte sich an die Kante ihres Bettes und streichelte sanft ihren Rücken, bis sie eingeschlafen war.

Stunden später wurde sie wieder wach. Sie fühlte sich müde und sehr schwach. Die ganzen Aufregungen dieses Tages hatten sie sehr mitgenommen.

Es war schon kurz vor zehn, dennoch entschloss sie sich, Tina anzurufen.

Hi Mel! Na, wie geht’s euch?“ - „Hallo. Nicht gut. Tina, ich brauch dich. Kannst du herkommen? Bitte.“ fragte sie so leise, dass sie fast flüsterte. - „Ich komme sofort. Bis gleich.“ antwortete sie ohne zu überlegen, legte auf und sprang ins Auto.

Eine viertel Stunde später saß sie bei Mel am Bett und sah sie besorgt an. „Wo ist Paddy?“ - „ Er ist weg....und er kommt nicht wieder.“ erzählte sie langsam.

Dann begann sie, ihr zu erklären, was am späten Nachmittag geschehen war.

Oh nein! Och Mel, ich habe es schon lange geahnt. Das konnte doch nicht gut gehen.“ - „Ich weiß.“ Wieder war sie am schluchzen. - „Und jetzt?“ - „Das ist noch nicht alles. Aber Tina, bitte kein Wort zu niemandem!“ - „Natürlich. Was ist los?“ - „Ich bekomme ein Kind.“ sagte sie vorsichtig. - „Ist nicht dein Ernst? Mel! Wie konnte das passieren?“ - „Wenn ich das nur wüsste.“ Sie erklärte ihr auch noch, wie der restliche Tag abgelaufen war.

Wieso hast du dich nicht gemeldet? Ich hätte dir doch beistehen können!“ - „Ich war einfach so durcheinander und ich bin es noch mehr als vorher. Ich kann kaum klar denken. Ich fühle mich wie im falschen Film.“ - „Das glaube ich. Weiß er es?“

Mel schüttelte den Kopf.

Willst du es ihm sagen?“ - „Nein. Er soll nicht deswegen zurückkommen. Auch wenn ich sonst alles tun würde, um ihn zu halten.“

Tina nickte. „Wer weiß es sonst noch?“ - „Bisher niemand.“ - „Und jetzt? Was hast du vor?“

Mel zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es einfach nicht. Soll ich nochmal mit ihm reden? Soll ich ihn anrufen?“

Tina sah sie skeptisch an. „Du kannst es versuchen. Er wird dir sagen, was er davon hält. Aber so wie du es mir erzählt hast, ist es wohl besser, ihn erst mal zur Ruhe kommen zu lassen. Er braucht sicher auch Zeit zum Nachdenken und das zu verdauen. Soll ich mal mit Joey reden?“ - „Hm, vielleicht. Zumindest um herauszubekommen, wie die Lage ist und wie es ihm geht.“

Mach ich. Allerdings erst morgen. Heute ist es zu spät.“ Sie sah auf die Uhr. „Ich werde dann auch mal wieder los oder soll ich hier bleiben?“ - „Das wäre lieb.“ antwortete Mel dankbar.

Beide gingen noch einmal ins Bad und legten sich dann ins Bett.

Tina drehte sich auf die Seite und bald konnte Mel ihr gleichmäßiges Atmen hören. Sie selbst konnte nicht schlafen. Äußerlich war sie ruhiger, aber in ihr jagte ein Gedanke den nächsten.

Sie konnte noch immer nicht verstehen, wie es erneut zu einer Schwangerschaft hatte kommen können. Sie hatte doch vorgesorgt und verantwortungsbewusst verhütet! Und trotzdem bekam sie jetzt ein Kind, ein kleines Baby.

Immer und immer wieder sagte sie es in Gedanken zu sich selbst, um es hoffentlich irgendwann zu begreifen.

Ja, sie würde dieses Kind nun bekommen, sie wollte ja schließlich auch Kinder haben, aber doch erst später!

Sie hatte eigentlich immer davon geträumt zu heiraten und dann erst eine Familie zu gründen. Sie wollte eine gesicherte Zukunft für ihre Nachkommen mit allem, was dazu gehört. Und nun? Nun hatte sie nicht einmal den Vater ihres Babys an ihrer Seite.

Ein neuer Anflug von Panik überkam sie, doch sie hatte keine Tränen mehr, um sie zu vergießen.

Müde schlief auch sie irgendwann ein.

Als sie aufwachte, hoffte sie, der Vortag wäre nur ein schlechter Traum gewesen.

Sie öffnete die Augen und ihr erster Blick fiel auf das Bild von ihr und Paddy, das sie damals über das Bett gehängt hatte.

Nein, es war leider kein Traum gewesen.

Traurig drehte sie sich auf die Seite und stellte fest, dass Tina nicht mehr neben ihr im Bett lag. Wenige Minuten später kam diese mit einem Tablett mit Frühstück in ihr Zimmer.

Guten Morgen.“ - „Morgen.“ murmelte Mel.

Sie sah auf die Brötchen. „Das ist echt lieb von dir, aber ich mag echt nichts essen.“ - „Mel, du musst was zu dir nehmen! Was hast du gestern gegessen?“

Sie dachte nach. Sie kam nicht auf mehr als ein halbes Brötchen, bevor sie zum Arzt gegangen war und lauthals gab auch ihr Magen einen Kommentar dazu ab.

Widerwillig schmierte sie sich ein Brot und würgte es hinunter. Es fiel ihr schwer, doch als es weg war, merkte sie, wie sie sich zumindest körperlich langsam besser fühlte.

Und jetzt?“ fragte Tina. - „Könntest du Joey nun anrufen? Ich will wissen, was mit Pad ist.“

Tina nickte und griff nach dem Telefon.

Aufgeregt beobachtete Mel sie und hoffte, etwas von dem Gespräch aufschnappen zu können.

Hi Joey, na was machst du?“ fragte sie, als er abgenommen hatte. - „Hi Tina. Ich bin gerade eine Runde gelaufen. Warum rufst du so früh an? Was ist los?“ - „Hm, also ...ehrlich gesagt würde ich das gerne von dir wissen. Hast du was von Paddy gehört?“

Sie hatte beschlossen, nicht drumherum zu reden, sondern direkt auf den Punkt zu kommen.

Zögernd antwortete er. „Sitzt du zufällig gerade bei Mel?“ - „...Schon möglich.“ - „Meinst du nicht, sie sollte das alleine klären?“

Sie sah ihre Freundin an, die mitgehört hatte.

Mel streckte die Hand aus und Tina gab ihr das Handy.

Hi Joey. Ich will nur wissen, wie es ihm geht und ob er wieder gut nach Hause gekommen ist.“ erklärte sie nervös. - „Er ist nicht hier. Er ist zu Jimmy zurückgeflogen.“ - „Wie lange bleibt er?“ - „Ich weiß es nicht. Er hat nur angerufen und gesagt, dass er ein paar Tage da bleibt und Zeit zum Nachdenken braucht. Was ist denn eigentlich vorgefallen? Hattet ihr Streit?“ - „Hat er dir nichts gesagt?“ - „Nein, nur das, was ich dir gerade gesagt hab.“ - „Nimm´s mir nicht übel, aber es wäre schön, wenn du mit deinem Bruder darüber redest. Ich denke, er ist da für dich die bessere Ansprechperson, aber ich danke dir für die Info. Mach´s gut.“ - „Okay, alles klar. Bis bald.“

Sie wusste nicht, wie sie Joey hätte beibringen sollen, dass sie seinem Bruder, wie er es selbst gesagt hatte, das Herz gebrochen hat.

Wie, du hast aufgelegt?“ Tina sah sie leicht vorwurfsvoll an und Mel guckte auf das Handy in ihrer Hand. „Oh, ähm, ja. Sorry. Naja, du kannst ihn ja heute Abend nochmal anrufen.“

Sie dachte nach. „Was meinst du, könnte es bedeuten, dass er niemandem etwas von der Trennung gesagt hat?“ - „War die Entscheidung denn wirklich eindeutig? Ist da Raum für Missverständnisse gewesen?“

Mel schüttelte den Kopf. „Nein, das war leider sehr eindeutig.“ - „Ich weiß auch nicht. Vielleicht kämpft er noch mit sich. Oder wollte sich eben nicht zusätzlich noch mit seiner Familie auseinandersetzen, da er schon genug alleine mit der Situation beschäftigt ist?“ überlegte Tina.

Ich habe dir die Lage schon sehr detailliert beschrieben. Meinst du, da bestünde tatsächlich noch eine Chance für mich?“

Tina sah sie mitfühlend an. „Also zu viel Hoffnung will ich dir da ehrlich gesagt nicht machen. Würdest du ihm sowas verzeihen?“ - „Wahrscheinlich nicht.“ murmelte sie leise. - „Du, ich werde mal los. Wenn was ist, melde dich.“ - „Mach ich, danke!“

Sie drückten sich kurz und Tina fuhr nach Hause.

Mel saß auf dem Bett und sah erneut auf das Handy.

Sie wollte so gerne bei Jimmy anrufen. Mit Pad selbst zu sprechen, traute sie sich nicht, aber sie wollte wenigstens mit jemandem reden, der ihn gesehen hat.

Sie wusste, es war nicht die klügste Entscheidung, dennoch wählte sie schließlich Jimmys Nummer.

Hi Großer.“ begrüßte sie ihn unsicher. - „Mel?“ fragte Jimmy recht trocken. - „Ja. Ich hab gehört, Pad sei bei dir.“ - „Ja.“ antwortete er kurz angebunden. - „Hat er dir erzählt, was passiert ist?“ - „Ja.“ - „Hey Jimmy, ich höre deine Stimmung und dass du verständlicherweise nicht gut auf mich zu sprechen bist, aber ich möchte dich bitten, mich nicht zu verurteilen. Gerade du solltest doch wissen, dass man Fehler machen kann, die viel kaputt machen und man sie hinterher schrecklich bereut.“ - „Stimmt ja schon. Aber was willst du? Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass er mit dir reden möchte.“ - „Nein, das hab ich mir gedacht. Aber ich möchte gern wissen, ob er soweit in Ordnung ist. Ach, ich weiß auch nicht, wie ich es sagen soll. Ich wollte einfach mit jemandem reden, der in seiner Nähe ist.“ - „Mel, es geht ihm gerade wirklich nicht gut. Er hat sein ganzes Vertrauen zu dir verloren. Er hätte das einfach nie von dir erwartet!“ - „Ja, ich weiß.“ erwiderte sie traurig.

Sie spürte den Kloß in ihrem Hals anwachsen.

Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht, in Irland anzurufen? Etwa dass sie etwas Positives hören würde? Wie utopisch und naiv war das eigentlich?

Sag ihm bitte nicht, dass ich angerufen habe. Ich will nicht, dass er sich bedrängt fühlt. Vielen Dank, dass du dich um ihn kümmerst.“ - „Das ist doch selbstverständlich. Er ist mein kleiner Bruder.“ - „Ja, ist richtig.“ - „Kleine?“ - „Ja?“ - „Wie geht es dir denn?“ - „Beschissen. Ich bin selber daran schuld, das ist mir auch klar. Ich habe solche Angst, dass ich ihn nie mehr in meine Arme schließen werde.“ - „Da kann und möchte ich dir nichts zu sagen. Das musst du irgendwann mit ihm selber klären...wenn er das denn möchte.“ - „Okay, ich dank dir. Mach´s gut, Jimbo.“ - „Du auch.“

Das Gespräch hatte nicht gerade die beruhigende Wirkung gehabt, die sie sich erhofft hatte, aber zumindest wusste sie nun, dass er gut aufgehoben war.

Seufzend warf sie das Handy auf die Matratze und vergrub sich in ihrem Bett.

 

Paddy saß derweil in Irland und packte seine Taschen. Er war zwar zu seinem Bruder gefahren, tauschte aber gerade seinen Koffer gegen einen Rucksack und hatte vor, ein paar Tage einfach durch die Gegend zu ziehen. Er wollte wirklich allein sein, um sich in Ruhe mit seinen Gedanken und Sorgen befassen zu können.  
Er konnte noch immer nicht fassen, dass seine liebe kleine Mel ihn betrogen hatte. Wahrscheinlich hätte er es nicht mal geglaubt, wenn er es nicht selber gesehen hätte.  
Aber es war ein Mädchen gewesen...konnte sie überhaupt eine richtige Konkurrenz zu ihm sein? Eigentlich nicht, fand er, aber Mel schien richtige Gefühle für sie zu haben. Richtige Gefühle sind eindeutig eine Konkurrenz.
Und nicht nur das. Sie hatte ihn über Wochen belogen. Woher sollte er wissen, wann sie ihm in der Vergangenheit Märchen erzählt hat und wann sie es in der Zukunft machen würde?!
Es war ein ziemlicher Schlag in die Magengegend gewesen, als er in ihrem Zimmer aufgetaucht war und die beiden so zärtlich hatte miteinander umgehen sehen.  
Erst war er sehr wütend und enttäuscht gewesen.  
Das Erstbeste, das ihm eingefallen war, war einfach die Flucht nach Irland. Doch auch bei Jimmy kamen zu viele Erinnerungen auf ihn eingeprasselt, da er ja gerade erst mit Mel hier gewesen war. So hatte er sich einen Rucksack geliehen und wollte sich gerade auf den Weg machen, als Jimmy ein Telefonat beendet hatte.  
„Kleine?“ wiederholte er skeptisch, als er in die Küche kam. „Wer war das?“

Jimmy druckste herum. „Ach, ist egal.“ - „War es Mel?“ - „Nein.“ Er dachte kurz nach und fuhr dann fort. „Ja, es war Mel, aber ich sollte dir nichts von ihrem Anruf erzählen. Und das hab ich offiziell auch nicht...“ - „Was wollte sie?“ - „Hören, wie es dir geht.“ - „Hm, okay.“
Paddy überlegte noch, ob er fragen sollte, wie es ihr ging, aber er war sich nicht einmal sicher, ob es ihn überhaupt interessierte.
Er verabschiedete sich, wobei Meike ihm noch ein Lunchpaket in die Hand drückte, und lief los.  
Er hatte sich keinen Weg überlegt, sondern ging einfach immer der Nase nach. Es dauerte eine Weile, bis er die Stadt verlassen hatte und die grünen Wiesen um sich herum sah.  
Wie schön war es mit Mel hier in Irland gewesen. Er hatte sich ihr so nahe gefühlt wie schon lange nicht mehr. Jetzt wusste er wieso und fragte sich auf der anderen Seite, ob das alles nur von ihr gespielt gewesen war im Urlaub.  
Das Herz wurde ihm schwer.  
Er hatte sich bei ihr immer so geborgen gefühlt vor dem Chaos in seiner Welt. Und jetzt war sie das größte Chaos für ihn. Er war sich ihrer immer so sicher gewesen. Nie hätte er gedacht, dass sie so etwas tun könnte.  
Natürlich waren ihm die ersten Zweifel gekommen, als er die Gedichte gefunden hatte, aber sie hatte doch alles so plausibel erklärt. Was hatte sie ihm noch alles so glaubwürdig erscheinen lassen, was in Wirklichkeit ganz anders gewesen war?
Er fühlte sich leer ohne sie, auch wenn sein Schmerz über den Verlust und die Enttäuschung seinen ganzen Körper auszufüllen schien.  
 
Mel lag in ihrem Bett und starrte seit Stunden aus dem Fenster.  
Sie musste etwas tun. Aber was?  
Ihr Kopf war zu voll, um einen klaren Gedanken herausfiltern zu können.  
Mit Paddy würde sie sicher erst mal nicht weiter kommen. Der hatte vorerst einiges zu verdauen, bevor er wieder ansprechbar sein würde. Die Gespräche, die sie heute geführt hatte, hatten es ihr noch einmal bestätigt.  
Und dann war da noch das Baby.  
Sie legte die Hand auf ihren Bauch. Sie konnte noch keinen Unterschied feststellen.  
Eine Weile würde man es bestimmt noch verstecken können, aber es war sicher sinnvoll, wenn sie bald mit ihren Eltern reden würde. Sie hatte allerdings nicht den blassesten Schimmer, wie sie es anstellen sollte.
Erst mal musste sie sich bei dieser Ärztin einen Termin holen, zu der der Arzt sie überwiesen hatte. Sie wollte doch wissen, ob wirklich alles in Ordnung war.  
Sie raffte sich auf und suchte ihre Sachen zusammen.  
Gedankenverloren lief sie durch die Stadt, bis sie vor der Praxis stand. Alles ging sehr schnell und sie durfte gleich nächste Woche wiederkommen.  
Die letzten Ferientage vergingen schnell. Mel verbrachte viel Zeit zu Hause und grübelte über die Gegenwart und die Zukunft.  
Caro meldete sich nicht mehr und auch von Pad kam kein Lebenszeichen.

Jeder Tag war leer und lang und trotzdem kam die Schulzeit schneller als erwartet.
Schließlich war der erste Morgen nach den Ferien gekommen und sie wäre am liebsten im Bett liegen geblieben. Sie hatte große Angst, Caro zu begegnen.  
Was würde sie sagen? Wie sollte sie reagieren?  
Mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust ging sie zur Schule.  
Caro saß an ihrem Platz neben ihrem eigenen und sah sie neugierig, aber auch ängstlich an. Sie begrüßten sich oberflächlich und sprachen kaum ein Wort.  
Doch als der Gong zur ersten großen Pause ertönte, wandte sie sich mit einem fragenden Blick Mel zu. „Sollen wir reden?“  
Sie nickte und beide gingen schweigend nach draußen, bis sie außer Hörweite waren.  
„Wie geht’s dir, Kleine?“ begann Caro. - „Ganz ehrlich...beschissen. Und dir?“ - „Ach, frag lieber nicht. Was ist denn geschehen, nachdem ich weg war?“ - „Wir haben geredet, so weit man das so nennen kann, und dann ist er weg.“ berichtete Mel ruhig. - „Habt ihr euch getrennt?“ - „Ja.“ - „Tut mir leid.“ - „Sorry, Caro, aber ich kann dir das nicht ganz abnehmen. Vor allem nicht, wenn ich deine Augen gerade so leuchten sehe.“ - „Doch, es tut mir leid. Es bricht mir das Herz, dich unglücklich zu sehen. Aber jetzt, wo er weg ist...“ Unsicher guckte sie Mel an. „...haben wir vielleicht nun eine Chance?“
Mel blieb stehen und sah Caro in die Augen.

Nein. Es tut mir sehr leid. Du weißt, dass ich etwas für dich empfinde, aber Paddy liebe ich über alles. Ich weiß nicht, wie ich ihm das antun konnte. Ich war oder bin einfach so, naja, hingerissen von dir.“ Verlegen sah sie zur Seite und Caro griff nach ihrer Hand.  
Mel spürte, wie sie nervös wurde. „Die Dinge haben sich geändert.“ schob sie schnell hinterher. - „Ja, ich weiß, ich meine, wir könnten es doch jetzt wenigstens miteinander versuchen! Du hast gerade selber gesagt, dass ich dir nicht egal bin.“ entgegnete sie hoffnungsvoll. - „Caro, ich bin schwanger.“ erwiderte Mel kurz und bündig.  
Caro ließ ihre Hand los und starrte sie ungläubig an, offenbar unfähig, etwas dazu zu sagen.  
„Ja, ich bekomme ein Kind und ich werde alles dafür tun, den Vater zurück zu bekommen!“ Sie wunderte sich fast selbst über ihre Entschlossenheit.  
„Das glaub ich jetzt nicht. Du bist 16!“ - „Ach...das ist mir durchaus bewusst! Aber nun ist es eben so. Ich möchte das auch nicht mit dir ausdiskutieren. Ich wollte nur, dass du es von mir erfährst und nicht über irgendwelche Ecken.“ - „Kann man irgendwas für dich tun?“ - „Nein. Ich möchte, nein... ich denke, es ist das Beste, wenn wir uns nicht mehr außerhalb der Schule treffen. Versteh das bitte.“ - „Warum?“ - „Wenn ich irgendeine Chance noch bei Pad haben sollte, dann wenn das Kapitel mit uns abgeschlossen ist. So schwer mir das auch fällt. Und erzähl mir nicht, dass du kein Problem damit hättest, mir nicht zu nahe zu kommen.“ - „Ja, da hast du Recht. Aber du weißt doch nicht mal, ob du noch eine Chance bei ihm hast!“ - „Das ist richtig, aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ich will nicht ohne ihn sein! Ich will´s einfach nicht! Ich kann´s nicht mehr! Verstehst du?“  
Caro sah sie traurig an. „Ja, das kann ich besser verstehen, als du vielleicht glaubst. Dann war´s das wohl?“ - „Ja.“ antwortete Mel leise. - „Darf ich dich noch einmal in den Arm nehmen?“

Mel nickte, dann drückten sie sich fest und beide konnten deutlich die Endgültigkeit in dieser Geste spüren.
Sie waren schon viel zu spät dran und beeilten sich nun, zum Unterricht zu kommen.  
Mel überlegte, ob sie den Platz wechseln sollte, aber sie beschloss, es erst mal so zu versuchen. Es würde auch nur unnötige Fragen in der Klasse aufwerfen.  
Auf dem Weg nach Hause wechselten sich die Gedanken um Caro und Pad ab, bis er sie schließlich vertrieb und ihren Kopf ausfüllte.  
Was er wohl gerade machte? Ob er überhaupt noch einen Gedanken an sie verschwendete? War er erleichtert, dass es rausgekommen ist oder eher traurig, dass sie weg war? Vielleicht würde er sie sogar vermissen? Doch wahrscheinlich hatte er schon lange mit ihrem Thema abgeschlossen. Er war nicht auf sie angewiesen. Er konnte so viele haben.
Bestimmt war er mit Jimmy feiern oder schon wieder in Deutschland bei seinen anderen Geschwistern.  
 
Nein, Paddy war nicht in Deutschland. Er zog noch immer durch die grünen Hügel Irlands.  
Und er dachte auch nach wie vor an Mel. Viel zu viel, wie er mittlerweile fand, aber er konnte nichts dagegen tun.  
Sie war irgendwie immer da. Wenn er sich in einer Herberge schlafen legte oder wenn er morgens wieder aufwachte. Und immer wieder sah er das Bild vor sich von Caro und seiner Freundin, nein, Ex-Freundin.  
Oh, dieser Gedanke tat weh. Seine Ex Freundin. Er hatte bereits eine Ex, aber mit der hatte ihn nicht halb so viel verbunden, wie mit ihr. Sie hatten jedoch auch nicht halb so viel zusammen durchgemacht.  
Aber ist eine gemeinsame Vergangenheit ein Grund, um zusammenzubleiben? Er hatte von einer gemeinsamen Zukunft mit ihr geträumt. Natürlich war er sich darüber im Klaren, dass sie beide noch sehr jung waren, aber er konnte doch nichts gegen die Wege machen, die seine Gedanken und Träume einschlugen.  
Und jetzt? Eine gemeinsame Zukunft...es tauchten immer noch Fetzen von Vorstellungen auf, die sich nicht vertreiben lassen wollten, aber er war sich weder sicher, ob er das noch wollte, noch ob er sie definitiv nicht mehr wollte.  
Es war sicher besser, erst mal ein wenig Ruhe einkehren zu lassen.  
Und selbst wenn er sie noch wollen würde, wäre es besser noch ein bisschen zu warten. Sie sollte ruhig ein wenig über ihr Verhalten nachdenken und leiden...wenn sie das denn täte.  
Doch in diesem Moment schoss ihm Caro durch den Kopf.  
Was, wenn sie überhaupt nicht litt, sondern jetzt mit ihr zusammen wäre? Sie hatte ja nun freie Bahn! Vielleicht war sie sogar froh, ihn los zu sein?
Sein Magen verkrampfte sich.  
Eigentlich glaubte er das nicht, aber es er hielt es durchaus für möglich. Und alleine diese Zweifel lösten arge Schmerzen in ihm aus.  
Wenn sie sich für sie entschieden hatte, wollte er ihr auch nicht hinterher laufen. Oder sollte er um sie kämpfen? Wieso sollte er ihr eigentlich nachlaufen? Sie war doch diejenige gewesen, die Mist gebaut hatte!  
Die sich offenbar hatte hinreißen lassen, jemand anderen zu küssen. Hatte sie sie nur geküsst oder war da mehr gelaufen? Hätte sie es einfach so weiterlaufen lassen, hätte er es nicht herausbekommen?
Grimmig stellte er fest, dass er zu viele Fragen hatte, die offen geblieben waren und ihn nun nicht zur Ruhe kommen ließen.  
Es bestand dringender Redebedarf...

 

Reden war das, was Mel gerade gar nicht wollte. Zumindest nicht mit der Welt um sich herum.  
In der Schule saß sie meist nur teilnahmslos daneben und hing ihren eigenen Gedanken nach. Diese wurden natürlich von Pad und dem Baby dominiert und über beides wollte sie sich mit niemandem austauschen. Auch zu Hause machte sie einen Bogen um alle, mit denen sie sich hätte auseinandersetzen müssen.  
Tina hatte viel für die Schule zu tun, weil bei ihr die Klausuren anstanden, und meldete sich nur hin und wieder, um zu hören, ob sie irgendwas für Mel tun konnte.  
Bald war auch der Termin bei der Frauenärztin gekommen.  
Sie war mittlerweile etwa in der elften Woche und alles schien der Untersuchung nach ganz normal zu sein. Erleichtert ging Mel mit dem Mutterpass in der Tasche nach Hause.  
Als sie an der Bücherei vorbeikam, machte sie einen kleinen Abstecher und blätterte in unzähligen Schwangerschaftsbüchern.  
Sie hatte so viele Fragen, aber wusste nicht, an wen sie sich damit wenden konnte. Die werdenden Großeltern wussten ja schließlich noch nichts von ihrem Glück. Natürlich bekam sie auch von der freundlichen Ärztin Tipps, aber die Bücher waren nicht schlecht, um sich noch mal in Ruhe einen Überblick zu verschaffen.  
Eins nahm sie sogar mit nach Hause und versteckte es unter ihrem Bett.  
Als sie abends im Bett lag, holte sie es hervor. Sie las und besah sich die Bilder. Prüfend schob sie ihr T-Shirt ein Stück hoch und betrachtete ihren Bauch. Er sah aus, als hätte sie mal wieder viel zu viel Pizza gegessen.  
Sie kräuselte die Stirn, als sie sich vorstellte, welche Ausmaße er einmal annehmen sollte, wenn sie zum Vergleich die Bilder betrachtete. Sie konnte es sich gar nicht richtig vorstellen.  
Dann stand sie auf und begann, in ihrem Kleiderschrank zu wühlen.

Irgendwo mussten doch noch die alten Hosen sein. Letztes Jahr trug sie immer recht weite Klamotten, weil ihr das so gefallen hatte. Jetzt hatte sie in ihren engen Jeans kaum noch Spielraum und musste sich bald was überlegen. Sie hatte kein Geld, um alleine Umstandsmode kaufen zu können. Schließlich fand sie, was sie suchte und probierte es an.  
Super, da würde sie noch ein paar Wochen mit hinkommen, hoffte sie.  
Sie war froh, dass es Herbst war und sie durch das Wetter nicht mehr dazu gezwungen wurde, halbnackt herumzulaufen. Ihre weiten Pullover kaschierten den Rest. Zumindest vorerst.  
Sie ging zum Bett und nahm das Buch wieder zur Hand.  
Holla, das war schon eine ganz schöne Kugel, die sie da erwarten würde. Und das war nur der Anfang von dem, was sich in ihrem Leben ändern würde. Nichts würde mehr so sein wie vorher.
Ihr Blick fiel auf die Neugeborenen einige Kapitel weiter hinten.  
Sie lächelte, als sie anfing zu träumen. Wie würde ihr Baby wohl aussehen? Würde es vielleicht tatsächlich Paddys Augen bekommen? Und sein Lächeln? Sie wünschte es sich so. Ein kleiner Krümel, der wahrscheinlich jeden um den Finger wickeln würde.  
Sie schmunzelte, als sie merkte, wie die Phantasie mit ihr durchging.  
Der Krümel würde kommen und sie begann langsam, sich darauf zu freuen. Egal wie viel Stress es mit sich bringen würde und egal wie viele mühselige Gespräche und Diskussionen sie noch vor sich hatte. Es würde ihr Kind werden. Ihrs und Paddys.  
Nur dass er noch gar nichts davon auch nur ahnte.  
Sie musste es ihm sagen, in welchem Verhältnis sie auch immer zueinander standen, das war klar. Wann wäre der richtige Moment dafür? Was sollte sie machen, wenn er gar nicht mit ihr reden wollte? Sie könnte wahrscheinlich noch so oft sagen, dass es wichtig sei, es bliebe fraglich, ob er es ihr glauben würde. Verübeln konnte sie es ihm nicht.  
 
In der Tat war Paddy gerade an dem Abend ahnungslos wieder in Köln angekommen.  
Als er entschieden hatte, noch einmal mit Mel zu reden, hatte er kehrt gemacht und war zurück zu Jimmy und Meike gewandert. Nach einem weiteren Tag dort, war er wieder Richtung Heimat geflogen.  
Joey holte ihn vom Flughafen ab und fuhr ihn zum Hausboot.  
Dort rannte er unruhig hin und her. Er wollte gern zu Mel, um einige Dinge mit ihr zu klären, ohne die er sich nicht mehr komplett auf die Arbeit konzentrieren konnte.  
Aber vorher hatte noch einiges zu regeln.  
Er würde bald 18. werden und bis dahin wollte er seine Führerscheinprüfung abgelegt haben. Durch seinen „Spontanurlaub“ war er ziemlich im Verzug und musste eine Menge aufholen, um noch rechtzeitig fertig zu werden.  
Heute war es allerdings zu spät, er musste sich wohl oder übel bis morgen gedulden.  
Nachdenklich legte er sich schließlich in seinem Zimmer auf sein Bett und wühlte in allerlei Unterlagen. Er seufzte traurig, als zwischen Rechnungen und Geschäftsbriefen ein Foto von Mel herausfiel.  
Er hatte es gerade wenige Minuten nur geschafft, sich etwas abzulenken, da war sie schon wieder präsent.  
Er guckte sich in seinem Zimmer um. Sie hatte überall ihre Spuren hinterlassen. Bildchen, Briefe, kleine Aufmerksamkeiten und dann hing da noch das Foto neben seinem Schreibtisch, das sie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.  
Er ging in die Abstellkammer und suchte, bis er einen Karton fand. Zurück in seinem Zimmer begann er langsam, die Erinnerungen an sie darin zu verstauen.

Er nahm die Kiste und wollte sie nach draußen bringen, besann sich jedoch eines besseren und schob sie unten in seinen Kleiderschrank.  
Müde legte er sich nun ins Bett und versuchte zu schlafen.  

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Kommentare: 5
  • #1

    nicky (Donnerstag, 09 September 2010 08:26)

    juju sie hat sich von Caro getrennt ich hoffe das bleibt so! na mal schauen! der arme Paddy! weiter gehts mit Kapiel 18 !!!

  • #2

    Die Micha (Donnerstag, 09 September 2010 20:26)

    Oh man, oh man! CHAOS hoch 3!!!
    Na dann, ...

  • #3

    melsgesammeltekatastrophen (Donnerstag, 09 September 2010 20:32)

    Mann, wie schnell du vorankommst :o Beeindruckend. :)

  • #4

    Katrinka (Freitag, 01 März 2013 10:52)

    Oh Mensch, und jetzt muss ich wirklich weinen.....

  • #5

    Marie (Sonntag, 31 März 2013 11:51)

    ooh jetz aber schnell weiter.. zweisam klingt nämlich besser als einsam ;)