Abschied

Um zehn sollte die Gedenkfeier in der Schule sein und sie wollten natürlich hin.  
Mel war unsicher, ob sie Paddy mitnehmen sollte. Schließlich entschied sie sich dafür, ließ ihn aber im Auto warten.  
Sie fühlte sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, aber für ihn war es völlig in Ordnung. Er habe sowieso noch an ein paar Texten zu arbeiten, beruhigte er sie.  
Tina und sie suchten sich zwei Plätze ziemlich weit vorne.  
Mel wurde überrascht von vielen Mitschülern aus ihrer alten Klasse begrüßt. Sie wurde mit Fragen bombardiert, warum sie nicht mehr in ihre Klasse ginge und wo sie denn hin sei. Doch sie blockte alle ab.  
Natürlich freute sie sich über deren Interesse, aber hatten die denn im Moment keine anderen Probleme?  
Um sich vor weiteren Nachfragen und Kommentaren zu schützen, ließ sie die Jacke an, die zumindest ihren kleinen Bauch versteckte.  
Die Feier war sehr schön, wenn man das bei so einem Anlass sagen konnte.  
Der Rektor hielt eine sehr bewegende Rede und auch einige der anderen Lehrer sprachen ein paar Worte und erinnerten an vergangene gemeinsame Ereignisse, die sie erlebt hatten und schilderten die Zukunft, die sie leider nicht mehr erleben werden.  
Viele Schüler weinten bitterlich, ebenso wie die Eltern der Opfer. Manche befreundete Eltern waren ebenfalls gekommen und hatten Mühe, sich unter Kontrolle zu halten.  
Tina und Mel hielten sich die ganze Zeit an der Hand und kamen kaum eine Minute zur Ruhe.  
Paddy hatte es derweil nicht im Auto gehalten.  
Er machte sich Sorgen um Mel. Die ganze Aufregung tat ihr nicht gut. Aber er wusste genau, dass es vollkommen zwecklos war, ihr zu sagen, sie solle die Feier und die Beerdigung ausfallen lassen. Nichts hätte sie davon abgehalten.  
Als sie mit Tina aus der Schule trat, rannte er nervös vor der Tür auf und ab.  
Erleichtert schloss er sie in die Arme, als er sie erblickte.  
„Komm, lass uns gleich zum Auto.“ sagte er und zog sie mit sich.  
Er war zwar freiwillig mit ihr hier und wäre auch mit hinein gegangen, wenn sie es gewollt hätte, aber wenn es irgendwie ging, wollte er gerne jegliches unnötiges Risiko vermeiden, auf Teenies zu treffen.  
Die Hysterie wurde von Woche zu Woche schlimmer, hatte er das Gefühl und er war in letzter Zeit schon oft genug gerade so davon gekommen.    
Sie fuhren wieder zu Tina zurück, wo Mel wieder zum essen genötigt wurde. Diesmal hatte Tina auch noch Paddy zu Hilfe, so dass sie es nicht einmal groß versuchte irgendwelche Widerworte zu geben.  
„Und du bist einfach so abkömmlich auf Tour?“ fragte Tinas Schwester neugierig, als sie bei Tisch saßen. - „Naja, einfach so nicht, aber es ließ sich einigermaßen einrichten. Wir haben gestern Nachmittag ein Konzert in Münster gehabt. Von dort bin ich gleich weiter gefahren.  
Morgen haben die ein Radiointerview bei einem Lokalsender ohne mich. Und Dienstag haben wir einen freien Tag. Naja frei auch nur so halb, weil wir weiter nach Hannover fahren. Da dort am Mittwoch Abend ein Konzert ist, müssten ich eigentlich dann wieder zu ihnen stoßen.“  
Anike nickte interessiert.  
Trotz der derzeitigen Situation war es immer wieder spannend einem von den Kellys zu begegnen. Klar, war sie Joey oft genug über den Weg gelaufen, aber sie persönlich mochte Paddy ja viel lieber leiden. Zu ärgerlich, dass er mit Mel zusammen war. Aber sie befürchtete, dass der sowieso kein Interesse an ihr hätte, womit sie Recht hatte.  
„Sollen wir ein bisschen spazieren gehen? Dann können wir ein bisschen reden.“ schlug Mel ihm vor, doch er schüttelte mit dem Kopf. „Ich glaube, es ist das vernünftigste, wenn du dich erstmal ne Runde hinlegst. Der heutige Vormittag war schon wieder aufregend genug für dich. Wenn du dich erholt hast, kannst du mir in aller Ruhe erzählen, was du willst.“  
Es stimmte. Sie war ziemlich fertig und ließ sich bereitwillig von ihm hinauf in Tinas Zimmer ziehen, wo sie sich gleich ins Bett packte. Er setzte sich unterdessen an den Schreibtisch und zog ein paar Unterlagen heraus, die er noch bearbeiten wollte.  
„Schatz?“ murmelte sie leise, als sie im Begriff war aufzuwachen. - „Ich bin da, Mel.“ antwortete er beruhigend.  
Sie stand auf, ging hinüber zum Schreibtisch und legte von hinten beide Arme um seinen Oberkörper.  
Er streichelte sanft über ihren nackten Arm und küsste ihn.  
„Fühlst du dich besser?“ - „Ja, lass uns los.“ Sie zog sich um und ging kurz ins Bad, um sich frisch zu machen.  
Sie fuhren mit Auto das kurze Stück zum Wasser und liefen Richtung Geltinger Birk.  
Es war pustig und bitter kalt, aber sie hatten sich vorsorglich richtig warm eingemummelt.  
„Also, was ist denn nun los? Was liegt dir so schwer auf der Seele? Ist es wegen Caro?“ fragte er und bot ihr seinen Arm an, so dass sie sich einhaken konnte.  
„Ja, sicher geht es um Caro, aber nicht direkt darum, das sie...gestorben ist.“ Sie schluckte und brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu fangen. „Wusstest du, dass sie eine Schwester hat? Hat sie mal irgendwas erwähnt?“ - „Nein, mir gegenüber nicht, aber du hattest ja auch hauptsächlich mit ihr zu tun. Was ist denn mit der? Ist sie so viel älter, dass sie nicht mehr zu Hause wohnt?“  
„Drei Jahre älter, also 21 ist sie jetzt. Sie ist vor sechs Jahren ausgezogen, weil es zu Hause nicht mehr tragbar für sie war.“ - „Warum?“

Du weißt, dass ihre Mutter allein erziehend ist, oder?“ - „Ja, sicher. Hat das was damit zu tun? Gab es Ärger mit dem Vater?“

Mel nickte. „Ja. Irgendwann als Christiane, so heißt ihre Schwester, zehn war, kam er ihr zu nahe. Also näher, als ein Vater seiner Tochter kommen darf.“ - „Du meinst, er hat sie missbraucht?“ fragte Paddy vorsichtig nach.

Anfangs hat er sie wohl „nur“ belästigt, aber irgendwann wurde es immer schlimmer. Etwa ein Jahr später ist es dann dazu gekommen, als ihre Mutter mit Caro weg war.“ - „Ach du scheiße!“ - „Du sagst es. Und sie hat es ihrer Mutter nicht erzählt?“ - „Sie hat sich wohl nicht getraut, weil er ihr gedroht hat.“ - „Das ist von solchen Mistkerlen ja nicht anders zu erwarten.“

Ab da ist das dann häufiger passiert.“ - „Und ihre Mutter hat nichts gemerkt?“ unterbrach Paddy sie. - „Nein, zumindest am Anfang nicht. Später hat sie es angeblich nicht wahr haben wollen.“ - „Was war mit Caro?“ - „Die hat es auch irgendwann mitbekommen. Ihr Zimmer war direkt neben Christianes. Sie hat wohl gehört, wie sie geweint und gebettelt hat, er möge sie doch in Ruhe lassen. Mit der Zeit hörte sie kaum noch etwas, aber ihre Augen wurden immer trauriger. Es ging immer so weiter, nur das Klagen hatte sie aufgegeben, weil es nur alles noch schlimmer machte. Hat sie geweint, hat er sie geschlagen.“

Paddy wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte nicht begreifen, wie Menschen so etwas tun können.

Bedrückt fuhr Mel fort. „Sie hat es schließlich doch ihrer Mutter gesagt, die sich aber ebenfalls vor ihrem Mann fürchtete. Als sie ihn dann doch darauf ansprach, hat er sie verprügelt. Er hat ihr gedroht, sie und die beiden Mädchen umzubringen, wenn sie zur Polizei ginge. An Christianes 15. Geburtstag ist es wieder passiert und sie ist nachts weg gelaufen und wollte sich das Leben nehmen. Ein Passant hat sie im Morgengrauen gefunden, als sie mit ausgebreiteten Armen auf einem Brückengeländer stand. Er konnte sie gerade im noch herunter ziehen und festhalten.“ - „Und ihr Vater ist dann ins Gefängnis gekommen?“

Mel schüttelte traurig den Kopf. „Nein. Sie hat behauptet, sie wollte gar nicht springen und sie wäre nur von zu Hause weggelaufen, weil sie Flausen im Kopf hatte.“ - „Aber sie hätte doch zum Jugendamt gehen können. Die hätten sie da raus geholt!“ - „Ja, das denke ich mir auch, aber sie hatte solche Angst, dass ihrem Vater kein Einhalt geboten werden könne. Dass irgendwas bei Gericht schief geht und sie nachher alle in Gefahr wären. Sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass ihrer Schwester und ihrer Mutter etwas passiert. Also ist sie wieder zurück nach Hause. Doch ihr Vater hatte Bammel bekommen, dass es vielleicht doch mal ans Tageslicht kommen könnte und hat sich ab da zurückgehalten.“ - „Aber man konnte doch nicht einfach zum Alltag übergehen!“ - „Nein, ganz im Gegenteil. Die große Schwester war ihm zu gefährlich geworden, so ist er an die kleine herangetreten.“

Sie kamen an einer Bank vorbei und Paddy setzte sich. „Bitte sag jetzt nicht, er hat mit Caro das gleiche gemacht!“ Er starrte wütend auf den Boden und Mel sah, wie sich seine Fäuste ballten.

Sicher war Caro ihm ein Dorn im Auge gewesen, aber jetzt sah er sie in einem ganz anderen Licht. Wie belanglos erschien ihm auf einmal, was zwischen ihr und Mel passiert war.

Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Sie hat nie jemandem gesagt.“ - „Was ist dann passiert?“ - „Als Christiane eines Tages mitbekam, dass er Caro bedrängte, ist sie dazwischen gegangen. Er hat sie grün und blau geschlagen, dass sie mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden musste.“ - „Oh mein Gott.“ - „Caro hat damals daneben gestanden und versucht, auf ihren Vater los zu gehen und ihn nun von Christiane abzuhalten, aber sie konnte nichts ausrichten. Als ihre Mutter dann frühzeitig nach Hause kam, hat sie ebenfalls etwas abbekommen, bis sie ihn sich mit Hilfe eines Messers vom Leib halten konnte. Caro hatte es inzwischen irgendwie geschafft, die Polizei zu rufen, die kurz darauf mit einem Notarzt ankamen. Ihre Mutter hatte sich mit beiden Kindern im Badezimmer eingeschlossen, als sie eintrafen. Der Vater war geflohen und Christiane lag blutend mit schweren Kopfverletzungen und Rippenbrüchen in den Armen ihrer Mutter.“ - „Die müssen doch einen Schock fürs Leben bekommen haben!“ - „Ja, natürlich. Ihre Mutter ist am gleichen Abend mit Caro ins Frauenhaus gegangen, Christiane musste ja vorerst im Krankenhaus bleiben. Danach sind beide Kinder in therapeutische Behandlung gekommen. Christiane ist von zu Hause in ein Projekt für betreutes Wohnen gekommen, weil ihr Verhältnis zu ihrer Mutter völlig zerrüttet war. Sie konnte ihr nie ganz verzeihen, warum sie ihr nicht geholfen hat. Caro blieb bei ihr. Mit der Zeit ging es ihr wieder etwas besser. Aber sie hat irgendwann angefangen zu Drogen zu greifen. Sie hat in Flensburg wohl ziemlich viel gekifft und das war auch einer der Gründe gewesen, warum ihre Mutter mit ihr dort weggezogen ist.“ - „Ich kann irgendwie kaum glauben, dass du von der Caro sprichst und nicht einer völlig anderen Person.“ - „Ja, geht mir ähnlich. Sie hat mit dem Zeug wohl alles einigermaßen verdrängt, aber was genau mit ihrem Vater und ihr vorgefallen war, hat eben nie jemand erfahren.“ - „Was war denn nun mit dem?“ -Er wurde gefasst und zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.“
Paddy sah sie skeptisch an. „Dann ist er jetzt...“ - „Wieder auf freiem Fuß, ja. Aber er hatte die Auflage bekommen, dass er sich keinem der drei auf ein paar hundert Meter nähern darf.“ - „Ob er sich daran auch wirklich hält?“ - „Sie sagte, er sei nach Süddeutschland gezogen, weil hier so viele Nachbarn und Freunde davon Wind bekommen haben. In seinem neuen Wohnort, weiß nun keiner, was er getan hat. Obwohl dann hunderte Kilometer zwischen ihnen gelegen haben, ist die Angst, er könne auf einmal wieder auftauchen, nie ganz gewichen.“
„Aber Caro wirkte immer so ausgelassen und entspannt.“ - „Auch ich weiß nicht, wie viel Schein dahinter steckte. Ihre Mutter sagte zumindest, dass sie sehr aufgeblüht war, seid sie aus Flensburg weggezogen sind.“
Paddy schwieg und blickte in die Ferne.  
Die Dämmerung hatte längst eingesetzt und zusammen mit dem rhythmischen Rauschen des Meeres erschien die Wirklichkeit nun so unwirklich. Gedanken drifteten ab und gingen ihre eigenen Wege.  
„Was denkst du?“ Mel musterte ihn forschend. - „Hm. Sie tut mir einfach so leid. Ich habe nie gedacht, dass ich noch einmal Mitleid oder überhaupt irgendein Gefühl der Empathie ihr gegenüber empfinden würde, aber jetzt...Natürlich macht es auf der einen Seite nicht besser, was sie getan hat, aber auf der anderen Seite kann ich auf einmal nachvollziehen, warum sie so eine Sehnsucht nach Zuneigung hatte. Warum sie einfach so schlecht loslassen konnte. Weißt du, wie das Verhältnis zu ihrer Schwester war?“  
„Nein, leider nicht. Sie hat nur gesagt, dass Caro von mir erzählt hat, aber nicht was und auch nicht, wie oft sie telefoniert oder sich gesehen haben.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sie mehr weiß, als mir lieb ist. Sie hat keine Andeutungen gemacht, aber irgendwas lag in ihrem Blick und ihrer Stimme.“
„Was ist mit ihrer Mutter?“ - „Sie ist natürlich völlig fertig.“ - „Nein, ich meinte in Bezug auf damals. Sie hat dir das alles einfach so erzählt?“ - „Ja, ich hab sie auf Christiane angesprochen. Erst fiel es ihr sehr schwer, aber sie hat immer weiter geredet. Ich hatte den Eindruck, es tat ihr gut, sich das mal von der Seele zu reden. Sie hat sehr daran zu kämpfen, dass sie ihren Töchtern zu der Zeit keine bessere Mutter war. Aber sie fühlte sich eben so ohnmächtig. Jetzt leidet sie darunter, dass ihre Tochter sich von ihr abgewandt hat. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben sie so gut wie keinen Kontakt mehr zueinander. Und nun hat sie die zweite Tochter ganz verloren.“  
„Ich will sie nicht in Schutz nehmen, aber die Frau hatte es nicht leicht. Ich denke nicht, dass ich untätig zugesehen hätte so wie sie, aber ich kann durchaus verstehen, dass sie durch die Angst vor ihrem Mann wie gelähmt war.“ sagte Paddy nachdenklich.  
„Es ist gleich dunkel. Sollen wir langsam los?“ fügte er hinzu. - „Ja, mir ist auch schon mächtig kalt.“  
Er legte den Arm um sie und sie gingen langsam wieder zum Auto zurück. Beide sprachen nicht mehr viel, da jeder zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war.  
Als sie bei Tina ankamen, gab es gerade Abendbrot.  
Mel nahm einen kleinen Teller der dampfenden Suppe, um sich aufzuwärmen, Appetit hatte sie keinen. Auch Paddy ging es nicht viel besser.  
Wortkarg löffelten sie die Brühe in sich hinein und gingen dann auf Tinas Zimmer.  
Mel ließ sich aufs Bett fallen.  
„Oh Mann, mein Magen rebelliert jetzt schon gegen das Essen.“ - „Du musstest was essen! Du kannst nicht nur an dich denken im Moment.“  
Sie legte die Hand auf ihren Bauch.  
„Hast du Schmerzen?“ - „Nein, Schmerzen nicht direkt. Es kribbelt eher so ein wenig.“ - „Wahrscheinlich rebelliert die Kleine auch schon gegen den Stress. Du musst sehen, dass du dir ne Auszeit nimmst, um endlich mal wieder zur Ruhe zu kommen, wenn wir das hier hinter uns haben.“ - „Möglich. Sind ja bald Weihnachtsferien, da kann ich ja vielleicht ein bisschen abschalten.“ Sie stutze. „Und woher willst du eigentlich wissen, dass es ein Mädchen wird?“ - „Bauchgefühl.“ grinste er. - „Na Mann gut, das ist mein Bauch. Nächste Woche ist der nächste Ultraschall, aber ich glaube, ich lass mich überraschen.“ - „Wie? Willst du es nicht vorher wissen? Mmh...und ich kann nicht mit zur Untersuchung.“  
Sie dachte noch einmal kurz nach. „Nein, ich denke, ich will es wirklich nicht vorher erfahren.“
Er machte ein langes Gesicht. „Mann, ich bin doch so neugierig.“

Da musst du aber nun durch. Was hättest du eigentlich lieber?“ - „Ich weiß nicht. Eigentlich ist mir das egal, aber es wäre schon toll, es vorher zu wissen. Nicht nur wegen der Neugier, sondern auch damit man sich vorbereiten kann. So in Hinsicht auf Kleidung und Babysachen im Allgemeinen. Naja und für den Namen wäre es natürlich auch nicht unpraktisch.“ - „Ja, mit dem Namen hast du Recht, aber da müssen wir uns einfach verschiedene Möglichkeiten für beides überlegen. Und zu den Klamotten...du kannst mal mit Sicherheit davon ausgehen, dass es kein rosa tragen wird, auch wenn es ein Mädchen wird. Ich kann rosa nicht ausstehen.“

Aber wenn es ein Junge wird, lassen wir ihm die Haare lang wachsen!“ schlug Paddy überzeugt vor. - „Ähm, ne. Da reden wir noch einmal in Ruhe drüber. Irgendwann...oder auch nie.“ erwiderte Mel und musste schmunzeln.

Er beugte sich zu ihr runter und küsste sie. „Es ist viel schöner, wenn du lachst!“ - „Ja, aber ich habe im Moment nun mal nicht viel, worüber ich lachen kann.“ Sie zog ihn zu sich auf´s Bett. „Aber ich bin so froh, dass du hier bei mir bist. Schade, dass du übermorgen schon wieder los musst.“ - „Geht ja leider nicht anders. Kathy hat jetzt schon einen Aufstand gemacht, obwohl sie sagte, sie könne es zum Teil auch verstehen.“ - „Sie hat ja auch irgendwie Recht, aber es fällt mir immer noch schwer, dich ziehen zu lassen.“

Er packte sich zu ihr und legte seinen Arm über sie. „Wir haben ja noch den morgigen Tag zusammen, bevor ich wieder los muss.“

Doch statt sich zu freuen, blickte sie nachdenklich ins Leere.

Morgen ist die Beerdigung.“ - „Das schaffen wir schon! Du bist ja nicht alleine. Und Tina ist doch auch noch da.“ - „Ich habe aber trotzdem Angst.“ - „Wovor?“ - „Vor der Endgültigkeit....Alle werden von ihr reden, sie hoch leben lassen, daran erinnern, wie toll sie war. Und dann habe ich es wirklich schwarz auf weiß. Sie ist gestorben. Sie wird nie wieder kommen.“ - „Aber...“ - „Ja, ich weiß jetzt auch schon, dass sie tot ist, aber begreifen tue ich das absolut noch nicht.“ - „Das ist schwer, aber das kommt mit der Zeit.“

Er streichelte sanft ihren Arm und seine Gedanken wanderten zu seiner Mutter. Wie jung war er gewesen, als sie damals ziehen lassen musste. Damals konnte er noch nicht einmal richtig Abschied nehmen, weil er einfach noch zu klein gewesen war.

Allmählich fielen beiden die Augen zu.

Mel sank in einen unruhigen, traumreichen Schlaf.

Sie träumte vom nächsten Morgen, an dem sie viel zu spät aufwachte. Mit ach und Krach schafften sie es gerade noch rechtzeitig zu Beerdigung. Als sie vorne ans Pult trat, um ein paar Worte zu sagen, stand sie dort, ohne eine einzige Silbe über die Lippen zu bekommen. Immer wieder öffnete sie den Mund, doch es war einfach kein Ton zu hören.

Die Leute wurden ungeduldig und begannen miteinander zu tuscheln. Zeigten da nicht sogar welche mit dem Finger auf sie?

Mit bleierner Brust wachte sie auf. Es war erst kurz nach sieben, aber ihr war nicht mehr nach schlafen. Unausgeruht klaubte sie sich aus dem Bett auf und ging ins Bad.

Schnee lag auf dem Fenstersims und auch draußen war alles von einer weißen Schicht zugedeckt.

Sie schnappte sich die beiden Hunde von Tinas Eltern und wollte eine Runde durch einen kleinen benachbarten Wald drehen, als Paddy verschlafen und mit verstrubbelten Haaren in der Küche auftauchte.

Guten Morgen. Ich bin aufgewacht und du warst weg. Wo willst du hin?“ - „Ein bisschen an die frische Luft. Ich konnte nicht mehr im Bett liegen.“ - „Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme?“ - „Nein, ganz und gar nicht. Aber ich mag nicht viel reden. Kannst trotzdem gerne mitlaufen.“

Er flitzte wieder nach oben, zog sich was über und stieß zu ihr, als sie bereits draußen wartete.

Schweigend gingen sie nebeneinander den Weg entlang. Paddy hatte gleich nachdem sie das Grundstück verlassen hatten, nach ihrer Hand gegriffen. Sie trug wie immer keine Handschuhe, das sie eigentlich immer warme Hände hatte. Nur heute waren sie kalt und klamm. Er schloss sie so gut es ging in seiner ein, um sie wenigstens ein bisschen vor dem Schnee zu schützen.

Still fielen große Flocken auf sie hinab und Paddy akzeptierte ihren Wunsch nach Ruhe. Er lief einfach neben ihr, bereit zu reagieren, wenn sie doch was auf der Seele hätte.

Doch sie kamen wieder an, ohne ein Wort gewechselt zu haben.

Mel fühlte eine unendliche Dankbarkeit für ihn. Dafür, dass er einfach nur da war.

Sie hatte sich von Tina ein paar schwarze Sachen geliehen und zog sich um. Um zwölf sollte die Beerdigung sein. Davor wollten sie sich noch mit Caros Mutter treffen.

Soll ich denn nun mitkommen oder nicht?“ fragte Paddy sie, als er beobachtend daneben saß. - „Das überlasse ich dir. Wenn du das Bedürfnis hast, dann komme mit.“

Er grübelte einen Moment. „Ich würde gern dabei sein.“ - „Und wenn viele Leute kommen?“ - „Meinst du wirklich, dass sich jemand bei der Beerdigung Gedanken um mich macht?“ - „Weiß nicht. Vielleicht hast du Recht. Wenn die Leute Anstand haben, werden sie dich in Ruhe lassen.“

So wechselte auch Paddy seine Klamotten. Er hatte vorsorglich ein paar dunkle Kleidungsstücke mitgenommen, die er im Koffer gehabt hatte.

Sie sprachen kurz mit Caros Mutter bevor sie sich auf dem Weg zum Friedhof machten.

Mel zitterte, als sie vor der großen Pforte stand, doch Paddy hielt fest ihre Hand.

Okay, dann wollen wir mal.“ sagte sie leise und holte tief Luft.

Sie hatte das Gefühl, gleich umzufallen.

Wir schaffen das schon!“ ermutigte er sie und wartete, dass sie den ersten Schritt machen würde, da er sie nicht drängen wollte.

Tina war separat gefahren, da Pad und Mel ja früher los wollten. Nun war sie angekommen und legte Mel sanft die Hand auf die Schulter.  
„Komm, es wird nicht besser, je länger du wartest.“
Schließlich hob sie einen Fuß und ging dann tapfer weiter.  
Ein paar wenige Leute saßen bereits in der kleinen Kapelle und sie suchten sich einen Platz in der zweiten Reihe.  
Mel blickte sich um. Alles war schön geschmückt. Statt schwarz zierten frische grüne Farben den Raum, ebenso wie viele Bilder von lachenden Caros und unzählige Blumen.  
Leise spielte im Hintergrund eines ihrer Lieblingslieder, „So sehr dabei“ von Clueso.  
Mel dachte traurig daran, wie sie immer klatschend mit gesungen hatte. Sie hatte nie besonderen Wert darauf gelegt, den richtigen Ton oder Takt zu treffen. Meist war sie einfach in Gedanken gewesen und hatte es gar nicht bewusst gemacht.  
Der Raum füllte sich langsam. Viele Lehrer und Schüler waren darunter, hauptsächlich aus Flensburg. In der hiesigen Schule hatte sie noch nicht so viele Kontakte knüpfen können.  
Aber auch Tobi und Dave und ein paar andere Kumpels waren gekommen.  
Die Musik wurde ausgeblendet und der Pastor stellte sich vor die Anwesenden und begrüßte sie herzlich.  
Mel hatte einen riesigen Kloß im Hals. Sie hatte jetzt schon Probleme, ihre Tränen zurückzuhalten.  
Zudem war ihr war schlecht. Vielleicht hätte sie etwas essen sollen, aber sie hatte bereits morgens Angst gehabt, es könnte wieder heraus kommen.  
Sie schluckte ein paar Mal, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.  
Die Worte des Pastors rauschten anfangs an ihr vorbei und sie hatte Mühe, sich darauf zu konzentrieren.  
Dann ging Caros Mutter nach vorne und begann zu erzählen. Immer wieder musste sie Pausen machen, da ihre Rede von Tränen unterbrochen wurde.  
Nun trat Mel hinters Rednerpult. Sie hatte lange darüber nachgedacht und sich letzten Endes doch dafür entschieden.  
Paddy hatte ihr kurz vorher noch einmal Mut zugesprochen, saß aber nun unsicher auf seinem Platz. Etwas nervös war er doch angesichts der Worte, die sie Caro jetzt als letztes mit auf den Weg geben würde.  
Mel hatte sich nichts Spektakuläres überlegt. Eher wollte sie ein bisschen spontan daran gehen und einfach das wählen, was ihr in dem Moment auf dem Herzen lag.  
Sie räusperte sich lautlos und begann leise zu reden.  
Nicht zu den Anwesenden, sondern zu Caro selber.  
„Meine liebe Caro.  
Wir sind im Grunde nicht sehr lange gemeinsam durchs Leben gegangen. Ein halbes Jahr etwa. Aber schon nach sehr kurzer Zeit habe ich dich kennen...“  
Sie stockte und warf einen flüchtigen Blick zu Paddy.  
„...und lieben gelernt. Ich weiß gar nicht mehr, wie es war, dich nicht gekannt zu haben. Du bist ein ungewöhnlicher Mensch gewesen, einmalig. Du hast mein Leben unglaublich bereichert.  
Und obwohl bei uns beiden oft der eine sagte, was der andere dachte, konnte niemand wirklich in dein Innerstes schauen.  
Du hast immer deinen eigenen Kopf gehabt und hast dir von niemandem rein reden lassen. Hast gekämpft wie ein Tiger für das, was du wolltest. Du warst ein unerschütterlicher Optimist, auch wenn du es nie offen zugeben mochtest.“  
Sie lächelte zwischen den Tränen, die stumm über ihre Wangen liefen.  
„Meist hattest du ein Grinsen im Gesicht und den Kopf voll verrückter Ideen. Mit dir konnte man immer etwas erleben und selbst die normalsten Dinge wurden ungewöhnlich.  
Du hättest so viele Erfahrungen noch sammeln sollen, viel zu früh bist du dieser Möglichkeit beraubt worden. Die Welt ist jetzt um einen kostbaren Menschen ärmer.
Unsere Freundschaft war etwas ganz Besonderes und ich werde dich nie vergessen.“  
Sie schwieg ein paar Sekunden, bis sie fortfuhr. „Es tut mir so unendlich leid.“
Es tat ihr wirklich so schrecklich leid...dass sie gestorben war, dass sie so oft gelitten hat in ihrem Leben und dass sie diejenige war, die die letzten Monate daran die Schuld getragen hatte.  
„Hier, Caro, das ist für dich.“ Und aus den Lautsprechern ertönte „Let the Sunshine in“, während die Sonne durch die Fenster in die Kapelle fiel. Es hatte aufgehört zu schneien und der Schnee auf den Fensterkreuzen glitzerte im hellen Licht.
Mel ging mit hängenden Schultern wieder zu ihrer Bank zurück und setzte sich neben Paddy, der tröstend seinen Arm um sie legte. Sie lehnte ihren Kopf an ihn und lauschte den folgenden Trauerreden, bis sie nur noch abwesend auf den Sarg starrte.  
Joan Baez Stimme erfüllte die Kapelle und zu den Klängen von "We shall overcome" wurde er vorsichtig hoch gehoben und hinaus getragen. Langsam erhob sich die Menge und folgte ihm.  
Mel blieb wie angewurzelt sitzen, unfähig sich zu bewegen. Endlich rührte sie sich und schloss sich den letzten Leuten an.  
Der Zug ging gemächlich zu der Stelle, die ihre Mutter ausgesucht hatte, doch Mel erstarrte vor der Tür.  
„Lass uns gehen.“ sagte sie leise zu Paddy. - „Bist du dir sicher?“ fragte er sie ruhig. - „Ja. Ich schaff das nicht. Ich kann nicht ertragen zu sehen, wie sie in dieser Holzkiste hinab gelassen wird in ein kaltes Erdloch. Meine Caro.“ flüsterte sie mit erstickter Stimme.
Paddy war hin und her gerissen. Trotz dem, was er über sie erfahren hatte, tat es ihm immer noch ein bisschen weh zu hören, wie Mel sie nannte, doch auf der anderen Seite konnte er sie nicht leiden sehen. Und nach allem hatte sie sich für ihn entschieden, als Caro noch präsent war.
Er schloss sein weinendes Mädchen fest in die Arme, bevor er sie stützend zum Wagen geleitete.

Doch als sie durch das Tor traten, zuckte Mel zusammen. Sogar die Tränen blieben ihr im Hals stecken.  
„Was willst du denn hier?“ fragte sie erschrocken. Auch Paddy war zusammen gefahren.  
„Ich wissen sehen, wie es dir geht. Ich habe mir doch gedacht, dass du herkommst. Es ist schrecklich für mich zu sehen, dass du nach Kappeln fährst und nicht einmal bei uns rein schaust.“ antwortete Lena friedlich. - „Ich habe gedacht, ich sei nicht erwünscht.“ - „Du bist immer willkommen. Wir hatten zwar Streit und ich habe gesagt, dass du mit ihm gehen sollst, aber du kannst doch immer bei uns vorbei kommen.“ - „Ich wollte mich ehrlich gesagt auch nicht dem Stress aussetzen, wenn es nicht so wäre. Wir haben in letzter Zeit schon allerhand mitgemacht.“ - „Und? Wie gehts´s dir?“ - „Doofe Frage gerade.“ lächelte Mel gequält. - „Ja, ich weiß. Aber im Allgemeinen? Wie geht’s dem Baby?“  
Mel zuckte mit den Schultern. „Ganz gut denke ich. Es wächst und gedeiht.“
Lena nickte.  
Die Atmosphäre war seltsam. Keiner der drei wusste so wirklich, was er sagen sollte.  
„Wollt ihr noch einen Moment mit nach Hause kommen?“ fragte sie schließlich.  
Paddy antwortete nicht, sondern sah abwartend zu Mel. Zögernd nickte sie.  
Langsam machte Lena einen Schritt auf sie zu und nahm sie in den Arm. Anfangs versteifte sich Mel, doch dann ließ sie sich fallen und genoss die Wärme der Berührung ihrer Mutter.  
Es dauerte ein bisschen, sie die Stimmung sich lockerte. Sie saßen zusammen mit ihrem Vater im Wohnzimmer und hatten sich eigentlich noch nicht einmal von der Trauerfeier erholt.  
Ihre Eltern fragten nach den letzten Wochen und wie es in der Schule liefe. Knapp antwortete Mel, mochte aber nichts groß ausführen.  
„Ach ja, eins wäre da noch.“ schoss es ihr auf einmal durch den Kopf.  
Paddy sah sie fragend an.  
Sie hatte ihm gegenüber doch nichts erwähnt, was sie noch zu besprechen hatte.  
Aber sie achtete nicht weiter auf ihn und wendete sich wieder ihren Eltern zu.  
„Ich könnte lange um den heißen Brei herum reden, aber ich halte das für sinnlos. Es läuft ja doch auf´s gleiche raus. Also...es geht um Geld.“  
„Wieso um Geld?“ unterbrach Paddy sie. - „Bitte halte dich da mal raus, okay?“ würgte sie gleich irgendwelche Einwände ab.  
„Brauchst du Geld?“ fragte ihr Vater zugleich besorgt wie auch verwundert. Sie nickte. „Ja, ich bin ziemlich blank.“  
„Wieso sagst du nichts? Du musst doch nicht zu deinen Eltern gehen, wenn du Geld brauchst! Was hättest du gemacht, wenn wir Lena nicht mehr oder weniger zufällig getroffen hätten?“ mischte Paddy sich erneut ein. Er sprach diesmal so schnell, dass Mel Probleme hatte, ihn zu unterbrechen.  
Sie drehte sich auf der Couch in seine Richtung und legte die Hand auf sein Knie, doch er redete weiter und sah fast etwas unglücklich dabei aus. „Mel, du bist mein Mädchen! Ich kann für dich und unser Baby sorgen! Eigentlich solltest du dich darüber freuen!“ - „Schatz, ich weiß, dass du Geld hast, aber ich will dein Geld nicht.“ - „Ich möchte nicht ständig bei dir ankommen und „betteln“. Ich hasse es, von dir abhängig zu sein. Am liebsten würde ich mein eigenes Geld verdienen, aber das geht noch nicht.“ - „Ja, aber...“ - „Nichts aber. Es ist in Ordnung, dass du für das Kind sorgst, aber du musst mich nicht auch noch durchfüttern.“ - „Durchfüttern? Als ob du kleine Maus noch an dem großen Tisch auffallen würdest.“ Er grinste nun wieder leicht. „Ja, aber mal ernsthaft. Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn du bei anderen Leuten – auch wenn es deine Eltern sind – um Geld fragst, während du mit mir zusammen wohnst.“
Lena hatte die beiden still beobachtet und ergriff nun das Wort. „Vielleicht solltet ihr das erst einmal unter euch klären, bevor wir weiter reden?“
„Nein, das brauchen wir nicht. Meine Meinung steht da fest. Ich trage diesen Gedanken schon länger mit mir rum.“ - „Also, was möchtest du nun von uns genau?“ fragte ihr Vater. - „Es wäre toll, wenn ihr mir monatlich einen Betrag überweisen könntet. Es muss nicht viel sein. Vielleicht ein bisschen mehr als das Kindergeld. Es ist ja nur, damit ich nicht ganz ohne da sitze.“  
„Aber du sitzt doch nicht ganz ohne!“ unterbrach Paddy sie erneut, nun mit ernsterer Stimme. - „Pad bitte, lass es jetzt einfach.“  
Er lehnte sich zurück und schmollte, ohne noch einmal dazwischen zu reden.  
Mels Vater nickte. „Ja, das kriegen wir hin.“ - „Danke.“ lächelte sie erleichtert.  
Sie schnackten sie noch eine ganze Weile, bevor sie wieder zu Tina fuhren. Paddy hatte sich die meiste Zeit zurück gehalten. Er konnte immer noch nicht begreifen, warum sie das getan hatte, so war er auch im Auto weiterhin schweigsam.  
„Was ist los?“ fragte sie ihn schließlich. - „Ich versteh dich nicht. Was sollte das vorhin?“ - „Das sagte ich doch vorhin. Ich will nicht wegen jeder Mark bei dir ankommen.“ - „Aber das ist doch kein Problem.“ - „Doch, für mich ist es eins. Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du selber keinen Pfennig Geld hättest und so immer auf deinen Partner angewiesen wärst?“ - „Ja, stimmt schon, aber versetz dich mal in meine Lage. Ich fühlte mich ein bisschen bloß gestellt. Es sieht doch aus, als wärst du bei mir nicht gut aufgehoben, wenn es bereits am Geld scheitert. Als würde ich mich nicht gut um dich kümmern.“

Das tut mir leid. Das war nicht meine Absicht.“  
Er sah flüchtig zu ihr rüber. „Ist dir mein Geld nicht gut genug?“ - „Was soll denn der Blödsinn? Natürlich ist dein Geld gut! Du weißt, dass ich es liebe, wie du es verdienst, aber es ist nun einmal dein Geld und meine Eltern sind noch verpflichtet, mich zu unterstützen. Ich fühle mich einfach wohler mit dieser Lösung.“  
Er erwiderte nichts, sondern sah nachdenklich auf die Straße.  
„Hey, außerdem werde ich dich garantiert noch oft genug nach Geld fragen, wenn es um den Krümel geht.“ - „Oder die Krümeline.“ fügte er hinzu und sein ernstes Gesicht verschwand. „Versprochen?“ - „Ja, versprochen. Es wird sich eh nicht vermeiden lassen.“  
Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weiter sprach. „Aber ist es nicht schön, wie sie reagiert haben? Anfangs war ich sehr erschrocken, als meine Mutter auf einmal vor mir stand, aber dann...“ - „Ja, ich war auch ganz überrascht. Klasse, dass sie sich offenbar wieder eingekriegt hat. Ich hab da nicht so schnell mit gerechnet. Und schon gar nicht, dass sie diejenige ist, die den ersten Schritt macht.“ - „Geht mir genauso. Aber umso schöner ist es, dass sie es getan hat.“
Als sie kurz darauf ankamen, saßen Tinas Eltern im Wohnzimmer.  
„Na, wie war´s? Ihr seid ja ganz schön spät.“ fragten sie anteilnehmend. - „War sehr ergreifend und ich denke, es wurde ihr gerecht. Wir waren dann noch bei meinen Eltern.“  
Sie setzten sich aufs Sofa und Mel legte ihren Kopf auf Paddys Schoß. Sanft strich er über ihre Haare, während er von der Feier berichtete und erklärte, wie es zu der Zusammenkunft mit ihrer Familie gekommen war.  
„Oder was meinst du, Mel?“ hakte er nach, doch es kam keine Antwort. - „Sie ist eingeschlafen.“ flüsterte Tinas Mutter.  
Pad stand auf, hob sie vorsichtig hoch und trug sie ins Bett. Er legte die Decke über sie und setzte sich an den Schreibtisch.  
Eigentlich wollte er noch ein bisschen was tun, aber sein Blick fiel auf eines der Schwangerschaftsbücher, die Mel mit nach Gelting genommen hatte. Er schlug es auf und begann, darin zu schmökern.  
Gitarrenspiel und leiser Gesang drangen an ihr Ohr, als sie aufwachte.  
Paddy hockte vor ihr und zupfte an den Saiten des Instrumentes.  
„Was machst du da?“ fragte sie irritiert. - „Äh...Musik?“ - „Haha, ja schon klar, aber wieso hier direkt vor meiner Nase?“ - „Ich wollte dich nicht wecken.“ - „Wie konntest du bitte der Meinung sein, dass ich davon nicht aufwache??“ - „Naja, ich hab doch nur gelesen, dass das Baby nun schon akustische Reize wahrnehmen könne...“ Er deutete mit dem Kopf zum Schreibtisch, auf dem das aufgeschlagene Buch lag. „...und da es im Moment nur noch Aufregung hatte, müsste ein wenig Entspannung doch gut tun, dachte ich. Daher wollte ich ihm was Schönes spielen.“  
Er grinste. „Außerdem wollen wir doch gleich mal dafür sorgen, dass sie musikalisch wird.“  
Mel blickte ihn verliebt an. „Du bist echt süß. Aber du kannst einfach nur darauf hoffen, dass sie oder er deine Gene geerbt hat und nicht meine. Und ich denke, dass es sich am besten entspannen kann, wenn die Mutter schläft.“
„´Tschuldigung.“ murmelte Paddy und guckte bedröppelt aus der Wäsche. - „Macht nichts.“ schmunzelte sie und gab ihm einen Kuss, bevor sie sich auf die andere Seite drehte.  
Sie schloss gerade die Augen, als sie erneut hörte, wie die Gitarre einsetzte. Sie lächelte und sank wieder in den Schlaf.

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Kommentare: 21
  • #1

    paddy90 (Sonntag, 08 März 2009 21:12)

    die beerdigugn so traurig mir ist grade acuh ne träne über die wange gelaufen =( jetzt habe ich doch weder mitleid mit caro obwohl ich sie von anfang an nicht mochte

  • #2

    melsgesammeltekatastrophen (Sonntag, 08 März 2009 21:37)

    Ich will natürlich nicht, dass du traurig bist, aber ich finde es schön, dass ich es geschafft habe, die Emotionen gut rüber zu bringen. Und es ist auch schön, dass du ein wenig Mitleid mit Caro hast. .

  • #3

    melsgesammeltekatastrophen (Sonntag, 08 März 2009 21:51)

    Achso, vielen Dank für dein Feedback :-*

  • #4

    Bella (Mittwoch, 23 September 2009 11:08)

    Danke für den Hinweis auf Clueso und für das Lied "So sehr dabei" :-)

  • #5

    Steffi (Freitag, 23 Oktober 2009 00:32)

    Hmmm ich schaffe es doch Stück für Stück die Geschichte zu lesen :-) Ich frag mich echt wie du auf das alles gekommen bist! Kompliment!!
    Und die Beerdigung ist wirklich traurig geschrieben bzw alles drum herum- hatte mehrere Klöße im Hals :-( und die Tränrn liefen .... Wie echt es doch wirken kann!
    Bin gespannt auf die nächsten Kapitel, aber nun ist es mal wieder später als ich eigentlich wach bleiben wollte!
    Dir schonmal ein schönes WE in Berlin

  • #6

    paddyluv (Donnerstag, 09 September 2010 00:30)

    und schon wieder pennt se...

  • #7

    nicky (Freitag, 10 September 2010 10:37)

    oh ja auch mir kamen fast die Tränen obwohl ich ja eigentlich nicht für diese Caro bin!aber den Tod wünscht man niemanden!
    das hast du echt schön geschrieben .... so toll das es richtig real rüber kommt!

    vorallen die Erinnerungen an Caro ... die konnte ich auch sehen!komisch!

    naja weiter gehts mit Kapitel 35!!!und ich bin gespannt wie es weiter geht!

  • #8

    melsgesammeltekatastrophen (Freitag, 10 September 2010 13:30)

    @paddyluv: Sorry, aber schläfst du nicht auch jeden Tag? ;) Und da irgendwie immer nur Negatives kommt (was durchaus legitim ist), möchte ich dich nur einmal ganz dezent darauf hinweisen, dass dich niemand zwingt, diese Geschichte zu lesen. ;)

    @Nicky: Schön, dass du trotzdem mit Caro mitfühlen kannst. Ähm, naja, soweit man das mitfühlen unter diesen Umständen jetzt noch sagen kann. :)

  • #9

    Die Micha (Freitag, 10 September 2010 16:22)

    kompliment, ich glaube so leicht kann es nicht sein über den Tod, eine Beerdigung und den Abschied eines Menschen so zu schreiben, wie du's geschafft hast!

    Aber ich muss mal sagen, Echt total süüüss wie du Paddy beschrieben hast als er vor dem Bauch saß und Musik gemacht hat, musste so grinsen, habe selbst "erst" vor knapp 14 Monaten nen Windelpupser bekommen und konnte mich genau da rein denken! :)

  • #10

    melsgesammeltekatastrophen (Freitag, 10 September 2010 19:25)

    Wow, danke Micha für deine lobenden Worte *freu*
    Ich habe übrigens keinen Windelpupser zu Hause. :)

  • #11

    Die Micha (Freitag, 10 September 2010 20:34)

    Bitte schön, habe ich sehr gerne gemacht, da es auch von Herzen kam, fand die ganze Sache soooo süüüss, aber dafür das du keinen Windelpupser hast, hast du es so geschrieben, wie's sich jede Schwangere nur wünscht!!! :-D
    Mein Freund ist nicht Musikalisch und auch nur ab und an so romantisch, halt typisch Mann! :-D Deshalb ging bei mir noch mehr das Herz auf, aber Männer können echt süüüss sein wenn sie Papas werden! :-D

  • #12

    Thunder (Sonntag, 03 Juli 2011 15:32)

    Ohh die Beerdigung war wirklich traurig :'(
    Ich hab Mitleid mit Caro, aber dass hatte ich auch schon bei der Choraufführung als sie mit Paddy und Mel geredet hat..Sie hatte es echt nicht einfach..
    Aber deine Geschichte gefällt mir immernoch vom Anfang bis jetzt :D

  • #13

    Angie (Montag, 07 Januar 2013 12:04)

    Also eigentlich mag ich erfundene geschichten gar nicht ,lese lieber biografien! Ich bin eher durch Zufall hier gelandet und bin nun bei kapitel 34 angekommen. Obwohl ich die Geschichte anfangs noch etwas komisch fand, bin ich nun begeisteter "fan" davon. freue mich schon heute abend weiter zu lesen!

  • #14

    Katrinka (Samstag, 02 März 2013 21:51)

    Vorweg - das Bild zu diesem Kapitel ist toll.

    Ansonsten - so traurig.....

  • #15

    Micha (Freitag, 29 März 2013 11:08)

    Was für emotionen...wow...hate echt öfter nen kloss im hals und ab und zu schmunzelte es dann doch wieder wie man las das pad sich so rührend um sie kümmert.

  • #16

    Marie (Montag, 01 April 2013 23:52)

    total ergreifend.. ich fühle immer total mit.. naja soweit das geht wenn man ne schnarchende beste freundin neben sich hat und immernoch vom justin bieber konzert geflasht ist ;D
    aber echt wundervoll.. und traurig :(

  • #17

    Eva (Sonntag, 23 Juni 2013 11:51)

    Ich bin auch schon ganz süchtig nach deiner Geschichte!!!Auch wenn ich viele Teile überfliege oder querlese;) Ich bin einfach zu neugierig wie es weitergeht!

    Ganz grosses Kompliment! Meine Geschichten waren vor Jahhhrennnn immer mehr so ne Weichspülerei! Bei deiner passiert richtig was...bisschen gzsz aber im positiven Sinne:)

    Schönen Sonntag!
    Lieben Gruss
    Eva

  • #18

    Emma (Donnerstag, 07 Januar 2016 14:43)

    Mir geht es auch so. Ich mag die Geschichte sehr gerne! Und lese auch die agaze Zeit. Obwohl ich sonst auch eigentlich fast nur wahre Geschichten oder Biographien lese.

  • #19

    Kathrin (Donnerstag, 01 September 2016 14:34)

    Ich bekam auch feuchte Augen
    Wie Mel auf Friedhof plötzlich stehen blieb dachte ich zuerst diese Jenny ist wieder aufgetaucht

    Jetzt noch Kapitel 35, dann ist Schluss bis zum Abend

  • #20

    Nanny (Freitag, 23 Februar 2018 00:11)

    Jetzt muss ich doch auch mal einen Kommentar hinterlassen! Ich war grade so am flennen wegen der Beerdigung. Die Geschichte von Caro bewegt mich echt zutiefst, Wahnsinn wie du das geschrieben hast. Das "Buch" allgemein aber auch!!! Echt große Klasse! Ich verschlinge es regelrecht. Kann nicht mehr aufhören zu lesen. Bin jedes Mal gespannt wie es weitergeht.

  • #21

    Pw (Freitag, 09 März 2018 01:00)

    Ich danke dir für dein Lob! Schön, dass es dir gefällt! Lg Pw