Gerüchte

Am nächsten Tag machte Paddy sich wieder auf den Weg.  
Mel fiel es schwer. Sie wusste, sie würde ihn erst einen Tag vor Weihnachten wieder sehen, da seine Reise weiter in den Norden ging und sie wieder zurück nach Köln musste.  
Ein Stück des Weges teilten sie aber noch miteinander, da er sie erst in Hannover in den Zug setzen wollte.  
„Sollen wir nicht noch einmal bei deiner Familie vorbei sehen, bevor du mich zum Bahnhof bringst? Ich würde gerne kurz hallo sagen.“ schlug Mel vor, als sie Hannover erreicht hatten. - „Klar, können wir machen.“  
Ein Anruf bei Patricia zeigte, dass sie sich bereits in der Halle befanden.
„Hi Leute! Schön, euch zu sehen!“ rief Mel, als sie von hinten auf die Bühne trat.  
Die Kellys wollten gerade mit dem Soundcheck beginnen, als sie dazu stießen.  
„Hallo Mel! Wie geht’s dir?“ begrüßte Maite sie besorgt und drückte sie fest. - „Ach, wieder einigermaßen gut. War anstrengend und schwer gestern, aber das Leben geht weiter. Sie wird auch nicht wieder lebendig, wenn ich jetzt den Kopf in den Sand stecke. Natürlich ist es noch komisch und so, aber es ändert ja nun mal nichts. Und bei euch?“ - „Ach, alles bestens!“ strahlte sie, wurde jedoch jäh von Joey unterbrochen.  
„Welch glücklicher Zufall, dass du hier mit auftauchst. Ich würde da gerne etwas mit euch besprechen und da ist es wichtig, dass wir alle anwesend sind.“

„Was ist denn nun los?“ wunderte sich Angelo und setzte sich wie alle anderen an den Bühnenrand.  
„Die Sache ist die....es ist doch bald Weihnachten. Ich weiß nicht, wie weit ihr mit irgendwelchen Geschenken seid, aber ich habe mir schon eine ganze Menge Gedanken gemacht.“
Murmelnd gaben einige ihre Meinung zum besten, aber er fuhr unbeirrt fort. „Ich werde keinem einzelnen von euch etwas schenken...“  
Einige zogen die Augenbrauen zusammen und Patricia reagierte schließlich auf seine Aussage.  
„Es ist ja in Ordnung, dass du das nicht willst. Weihnachten ist ja eigentlich auch ein Fest der Liebe und nicht der Geschenke, aber wie kommst du darauf und warum musstest du uns das extra in dieser Form mitteilen?“  
Doch Joey saß feixend zwischen ihnen und konnte sich kaum noch zurückhalten.  
„Nun sag schon, was ist los mit dir?“ wollte Kathy nun endlich wissen. - „Ich hab mir gedacht, wir schenken nicht jedem einzelnen etwas, sondern uns allen zusammen.“  
Aufregung machte sich in der kleinen Gruppe breit. „Was denn?“
„Ich habe ein sehr schönes Segelschiff gefunden und gekauft. Es ist ein Dreimaster.“ Erklärte er stolz. „Es ist noch etwas renovierungsbedürftig und liegt im Moment auf dem Trockenen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir damit im Sommer durch die Ostsee oder wo auch immer schippern können.“  
Stürmische Begeisterung brach unter seinen Geschwistern aus.  
„Das ist ja genial!“ war der Tenor des Tumults und alle waren gespannt, wie es wohl aussähe.  
Joey hatte vor, selbst Hand an dem Schiff anzulegen und Jimmy war augenblicklich Feuer und Flamme. Er musste zu seinem Leidwesen unsanft von Angelo daran erinnert werden, dass er doch bald wieder nach Irland müsse. Er war ohnehin schon länger wieder in Deutschland, als er ursprünglich geplant hatte. Johnny erklärte sich auch sofort bereit, mitzuhelfen, wenn es denn die Zeit zuließe.  
„Ich habe schon den Eindruck, du willst uns gar nicht mehr verlassen.“ grinste Mel und knuffte Jimmy in die Seite. - „Ein bisschen Recht hast du vielleicht. Es ist schön, wieder hier zu sein. Mit meinen Geschwistern auf Tour zu gehen und gemeinsam Musik zu machen. Aber Meike fehlt mir und auch die Filmschule ein wenig.“ gab er leicht bedrückt zu. - „Meike kannst du her holen, was du mit der Filmschule machst, musst du allerdings selbst entscheiden.“ tat Barby ihre Meinung dazu kund, stand auf und setzte ihre Tanzübungen fort, die sie unterbrochen hatte, als Mel und Paddy aufgetaucht waren.  
„Okay, ich bin gleich wieder da. Ich bringe Mel nur eben zum Zug.“ Sie und Paddy winkten noch einmal in die Runde und verschwanden.  
Mel war traurig, ihn am Bahnsteig zurücklassen zu müssen, doch bereits am nächsten Tag in der Schule wurde sie wieder mit ihm konfrontiert.  
Es war ein ganz gewöhnlicher Donnerstag, bis ihr auf einmal auffiel, dass einige Schüler in den Gängen auf sie zeigten und tuschelten.  
Sie fühlte sich unwohl und beschleunigte ihre Schritte.  
Hatten sie mittlerweile ihren kleinen Babybauch entdeckt? Vom Sportunterricht hatte sie sich inzwischen frei geben lassen. Nicht weil sie kein Sport machen konnte, sondern weil sie nicht wollte, dass die anderen schon was sehen. Weil sie den Segen des Direktors hatte, war das kein Problem gewesen.  
Aber da sie immer noch eine ziemlich zierliche Erscheinung war, fiel es ihr langsam schwer, den Bauch zu verstecken.
Als sie im Klassenraum ankam, stellte sich heraus, was Sache war.  
Auf dem Tisch hinter ihr in der zweiten Reihe lag eine aufgeschlagene Zeitschrift. Die druckfrische Ausgabe der BRAVO.  
Bingo.  
Da war ein Bild von ihr und Paddy von dem Chorauftritt in der Schulaula und darunter ein kurzer Bericht mit einem ebenfalls abgedruckten Leserbrief.  
Vorsichtig riskierte Mel einen Blick, als sie auch schon angesprochen wurde.  
„Bist du das auf dem Bild?“ - Sie überlegte kurz, aber eigentlich gab es keinen Zweifel, dass sie das war. „Ja, sieht so aus. Aber warum in Gottes Namen bin ich in der BRAVO?“ stellte sie sich doof und drehte die Zeitung zu sich um, so dass sie den Artikel lesen konnte.  
 

„Paddys neue Freundin?
Seit Monaten erreichen uns immer wieder Gerüchte, dass Paddy Kelly wieder in festen Händen sei.  
Nun berichtete ein Leser, dass der Mädchenschwarm der irischen Großfamilie letzte Woche in weiblicher Begleitung in seiner Schule gesichtet worden sei. Beide besuchten offenbar das Konzert eines Schülerchors, der zu Besuch gewesen war.  
Dem aufmerksamen Schüler gelang es ein Foto zu schießen. Obwohl das Bild zum Teil undeutlich ist und sich der Musiker vermummt hatte, sind wir uns ziemlich sicher, dass es sich bei betreffender Person um Paddy Kelly handelt.  
Unser Leser wollte dem nach dem Auftritt auf den Grund gehen, aber unglücklicherweise waren sowohl Paddy Kelly als auch seine weibliche Begleitung vor Ende verschwunden. Es war uns bisher leider nicht möglich herauszufinden, wie der Name des Mädchens ist.“

Mel schluckte.  
Bloß nicht  die Fassung verlieren! Dachte sie sich und hatte bereits dabei Probleme, ihre Mimik unter Kontrolle zu behalten.  
„Also bist du mit Paddy Kelly zusammen??“ fragte das Mädchen, das hinter ihr saß aufgeregt. - „Nein!Ich kannte den Typen doch gar nicht, der neben mir saß! Vorne war doch alles voll, darum musste ich mir nen anderen Platz suchen. Obwohl ich es schon krass finde, dass ich offenbar neben Paddy Kelly gesessen habe und es nicht einmal gemerkt hab.“ log sie schnell. - „Kanntest du nicht? Aber ihr seid zusammen verschwunden.“ - „Das steht da doch gar nicht! Nur dass beide weg waren, bevor das Konzert vorbei war. Mir war schlecht, darum bin ich raus. Ich habe keine Ahnung, wann der neben mir gegangen ist.“ - „Dir war schlecht...weil du schwanger bist? Wer ist eigentlich der Vater?“ fragte ein Junge zwei Plätze weiter fies grinsend.  
Jetzt musste sie sich setzen. Okay, sie hatten es bemerkt. War irgendwann zu erwarten gewesen, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie so direkt darauf und vor allem auf den Vater angesprochen werden würde.  
Ihr Kopf arbeitete wie verrückt, um auf eine gute Antwort zu kommen und sich nicht zu verhaspeln.  
„Weißt du es etwa nicht?“ hakte er kichernd nach, als er ihr Schweigen bemerkt hatte. - „Natürlich weiß ich es! Das Baby ist von meinem Freund.“  
Sie verschränkte die Arme und blickte angriffslustig um sich.  
Das letzte, was sie jetzt noch wollte, war unsicher, verletzlich oder gar ertappt zu wirken.  
„Und wie heißt er?“ wollte das Mädchen nun wieder wissen. - „Michael.“ antwortete Mel überzeugend, was ihr nicht schwer fiel, da es ja nun mal der erste Vorname von Paddy war.  
„Ach, er kommt nicht von hier?“ - „Naja, er hat die amerikanische Staatsbürgerschaft. Lebt aber schon seit ein paar Jahren in Deutschland.“ - „Wie heißt er denn mit Nachnamen? Ich steh nämlich auf ausländische Nachnamen!“  
Nun kam Mel wirklich ins Schwitzen, doch in dem Moment hörte sie ein Räuspern hinter sich.  
„Meine Damen und Herren, ich würde nun gerne mit dem Unterricht beginnen.“ forderte ihr Englischlehrer sie grinsend auf und rette ihr damit den Hals.  
Mels Herz beruhigte sich allmählich wieder und sie hoffte inständig, dass sich ihre Mitschüler damit zufrieden geben würden.  
Nach der Stunde kam allerdings abermals ein Mädchen auf sie zu. Sie hieß Alexa, das wusste Mel, weil sie sich bereits ein paar Mal mit ihr unterhalten hatte.  
„Darf ich dich noch was fragen?“ sagte sie neugierig. - „Klar.“ - „Wie weit bist du?“  
Mel war ein wenig erleichtert. Sie hatte befürchtet, es würde sich wieder um ihren Freund drehen.  
„So Anfang 5. Monat.“ - „Wissen es die Lehrer schon?“ - „Ja, habe gleich mit dem Direktor gesprochen, als ich an die Schule wollte. Das geht alles klar.“ - „Dann ist ja gut.“ erwiderte Alexa freundlich.
Abends rief sie Paddy an. Nach ein paar erfolglosen Versuchen, hatte sie endlich Glück.  
„Hallo Schatz.“ begrüßte er sie müde, aber erfreut. - „Hi. Du hast nicht zufällig heute die BRAVO gelesen?“ - „Nein, zufällig nicht. Die gehört nämlich nicht zu meiner Abendlektüre.“ schmunzelte er. „Warum? Und seit wann liest du die?“ - „Ich nicht, aber meine Mitschüler. Es war ein Bild von uns beiden drin.“ - „Oh nein...“  
Mel berichtete, was morgens geschehen war.  
„Oje, irgendwann musste es ja passieren. Okay, ich bin dies Risiko bewusst eingegangen an dem Abend. Da hatte ich andere Prioritäten, aber irgendwie hatte ich doch gehofft, ich käme da heil raus.“ - „Ich auch...“ - „Und was machen wir jetzt? Ich meine, was soll ich machen, wenn mich jemand von der Redaktion direkt drauf anspricht? Das ist sicher nur eine Frage der Zeit.“ - „Das musst du wissen. Ich kenne mich doch weder mit der Presse noch mit dem Showbiz aus.“ - „Ganz ehrlich würde ich vermuten, dass es in allen Punkten besser wäre, wenn ich weiterhin behaupten würde, dass ich Single bin. Ich habe kein Problem, dich der Öffentlichkeit zu präsentieren, warum sollte ich. Aber für dich, für unser Baby und, es tut mir leid, vielleicht sogar für die Plattenverkäufe wäre es wahrscheinlich besser.“ - „Wie gesagt, das überlasse ich dir. Ich habe ja, wie ich dir erzählte, heute morgen auch geleugnet, dass ich dich überhaupt kennen würde.“ - „Und das haben sie dir geglaubt?“ - Mel zuckte ungesehen die Achseln. „Keine Ahnung. Das wird die Zeit zeigen.“
Sie plauderten noch eine Weile, bevor sie sich schweren Herzen wieder verabschieden mussten.  
Mel fühlte sich die nächsten Tage noch ein bisschen beobachtet, aber niemand sprach sie mehr darauf an. Es war ihr fast egal, ob die anderen ihr die Lüge abgenommen hatten, Hauptsache sie hatte ihre Ruhe.