Ein verlorener Sohn und eine vermisste Tochter

„Jimmy ist weg.“ stellte Johnny fest, als er zu spät zum Frühstück erschien.  
Er hatte nachts kaum ein Auge zu gemacht, weil ihm so viel durch den Kopf ging. „Ich wollte gerade sehen, ob man heute mit ihm reden kann, da fand ich sein Zimmer verlassen vor und nur diesen Brief auf dem Tisch.“ Er warf einen Zettel in die Mitte. Patricia nahm ihn, überflog ihn kurz und las dann laut vor:  
„Hi Leute, ja es tut mir durchaus Leid, was gestern Abend passiert ist. Sorry Mel. Ich hatte Angst, dass etwas heraus kommt, was ihr nun einmal nicht wissen solltet. Ja, nun ist es passiert. Ich denke, ich brauche erst einmal Abstand und werde mich eine Weile von euch zurückziehen. Ist scheiße für die Band, das ist mir klar, aber irgendwo ist mir das im Moment egal. Ich will erst einmal mein eigenes Ding durchziehen. Jimmy“  
Als sie geendet hatte, guckten sich alle sprachlos an.  
„Ja, und nun?“ fragte Barby in die Runde. - „Er hat klipp und klar gesagt, dass er momentan nichts mit uns zu tun haben will.“ meinte Joey. - „Ja, aber wir können ihn nicht einfach laufen lassen. Vergiss die Band, aber was ist, wenn -“ warf Patricia ein und Mel vollendete den Satz „wenn er weiter abrutscht?“ - „Ich mache mir ziemliche Sorgen.“ sagte Barby leise. Johnny legte seine Hand auf ihre „Das machen wir alle.“ - „Wir wissen nicht, wo er hin ist, daher können wir jetzt nichts machen. Das ist Fakt.“ brachte Kathy es auf den Punkt. - „Hat jemand es mal auf seinem Handy versucht?“ fragte Tina, doch Johnny hielt es hoch „Das lag neben der Nachricht auf dem Tisch.“
Sie räumten den Tisch ab und saßen um den großen Tisch herum, um gemeinsam zu überlegen, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gäbe.  
„Und es hat keiner realisiert, was in ihm vorgeht. Ja, er war seltsam in letzter Zeit, aber seit wann geht das schon so?!“ dachte Angelo laut.

Joey zuckte mit den Schultern „Er war schon seit Monate manchmal ungewöhnlich gereizt, aber ich dachte, er würde einfach mit dem Stress nicht klar kommen und im Urlaub würde es sicher besser werden.“ - „Ja, mit dem Stress ist er offenbar nicht klar gekommen.“ Maite schüttelte den Kopf.  
Jeder machte sich selbst auf seine Weise Vorwürfe.  
Sie wollten am Liebsten den Trip abbrechen, da keiner mehr in Stimmung war, aber sie hatten noch zwei ausstehende Konzerte vor sich.  
Man merkte täglich, dass jeder gerne nach Hause wollte. Niemand wollte mehr etwas Richtiges unternehmen.  
Sie überlegten noch, ob Jimmy bei Freunden unter gekommen sein könnte, aber alle, die sie anriefen, hatten ihn nicht gesehen.  
Die beiden Konzerte bewältigten sie professionell wie immer. Sie änderten die Songliste und Jimmy erklärten sie offiziell für krank.  
 
Sie flogen direkt nach dem zweiten Konzert verfrüht nach Hause.  
Doch auch in Köln war keine Spur von Jimmy. Irgendwie hatte jeder gehofft, dort ein Zeichen von ihm vorzufinden.  
Mel und Paddy versuchten die verbleibende Zeit so gut wie möglich zu genießen. Sie waren viel unterwegs, mal im Zoo und auch im Kino, wo Mel es tatsächlich schaffte, nicht einzuschlafen.  
Als sie eines Abends wieder kamen, saß Tina im Wohnzimmer und guckte sich einen Film an.  
„Hi, wo ist Joey denn?“ wollte Mel von ihr wissen. - Sie zuckte mit den Schultern „Ich denke in seinem Zimmer. Ich glaube, er wollte noch Gitarre üben.“  
Mel und Paddy setzten sich dazu „Und, was habt ihr heute noch gemacht?“ - Tina sah weiter auf den Fernseher „Nichts besonderes. Joey hat sich mit Freunden getroffen. Ich bin bei Maite geblieben.“  
„Alles okay bei euch?“ Mel wunderte sich über das Verhalten ihrer Freundin, die sonst immer an Joeys Fersen klebte und nun so völlig desinteressiert erschien. Aber sie ließ es gut sein, da sie das Gefühl hatte, Tina wolle nicht darüber reden.  
Sie sahen sich mit ihr den Film zu Ende an und gingen zu Bett.  
Am nächsten Tag hatte Mel ein wunderbares Frühstück aufgetischt, doch kaum einer kam.  
Joey tauchte auf und verschwand gleich wieder.  
Kathy und Vincent gingen mit Sean zum Arzt, weil der geimpft werden sollte.  
Paddy musste ins Studio, um dort einige musikalische Dinge abzuklären und Maite war mit Freundinnen verabredet.  
Tina hatte auch nur kurz rein geguckt und erwähnt, dass sie keinen Hunger habe.  
Blöderweise hatte sich John Paddy angeschlossen, so dass Mel nur mit Angelo, Barby und Patricia vor all den Köstlichkeiten saß...  
„Hm, dabei war ich der Meinung, hier in einer Großfamilie gelandet zu sein...“ meinte Mel enttäuscht. „Das schaffen wir doch nie. Schade, um die schönen Dinge.“ - „Doch das schaffen wir schon. Los, rein hauen.“ versuchte Angelo sie aufzumuntern.  
Er schaffte am Ende auch die größte Portion.  
Nachdem sie an den Resten gescheitert waren, ging Mel zu Tina: „Was ist los mit dir? Du warst gestern schon so komisch. Ist alles in Ordnung bei dir und Joey?“ - Doch Tina zuckte wieder mit den Schultern „Ja, klar, wie immer eben.“ Mel runzelte die Stirn „Wie?  „Wie immer eben“ ?“ - Tina war genervt: „Ach, irgendwie hab ich das Gefühl, die Luft ist raus.“ - Mel setzte sich. „Wieso das denn? Jetzt schon?!“  
Tina legte ihr Buch beiseite und sah sie an. „Es ist was passiert.“ - „Los, erzähl!“  
„Ich war gestern alleine in der Stadt. Dort habe ich zufällig einen Exfreund von mir getroffen.“ - „Ja und?“ - „Ich war irgendwie total aufgeregt und bekam fast Schmetterlinge im Bauch.“ - „Oje...“ - „Tja, und weil mir Fortuna immer so hold ist, kam Joey in dem Moment um die Ecke. Klar, diese Stadt ist ja auch nicht groß genug...“ - „Oh nein.“ Mel schlug sich die Hand vor den Kopf.  
Tina fuhr fort: „Er merkte sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte. Als wir abends nach Hause kamen, stellte ich fest, dass die Gefühle für Joey nicht so sind, wie ich immer dachte. Oder sie haben sich verändert, oder so. Zumindest war da kein Kribbeln, wenn ich ihn ansah. Keine Schmetterlinge. Irgendwie nichts.  
Natürlich bleiben die Schmetterling nicht ewig, aber zum einen sollten sie jetzt noch nicht weg sein und zum anderen fühlte ich deutlich den Kontrast zum Treffen mit meinem Ex am Nachmittag. Klar mag ich Joey noch, aber ich habe das Gefühl, es ist nur freundschaftlich.“ - „Was hast du nun vor?“ - „Weiß nicht. Gestern Abend merkte Joey natürlich, dass ich sehr kurz angebunden war, weil ich die ganze Zeit mit meinen Gedanken beschäftigt war. Heute Morgen hat er mich dann gefragt, was los ist und -“  
Die Tür ging auf und Joey trat herein. - „Ich geh dann mal.“ Mel stand auf und verzog sich.  
„Hi Tina. Willst du jetzt mit mir reden?“ Sie nickte, wusste aber nicht, was sie sagen sollte.

Also machte er den Anfang: „Du bist so abweisend. Gestern schon, dann heute Nacht und heute Morgen bist du mir auch nur ausgewichen. Was ist los?“  
Sie mochte ihn nicht ansehen und antwortete leise: „Ich glaube es reicht einfach nicht mehr.“ - Joey sah verwirrt aus. „Was reicht nicht mehr?“ - „Meine Gefühle für dich. Ich mag dich echt gern. Aber ich befürchte, dass es nicht mehr für eine Beziehung reicht.“  
Joeys Gesicht war versteinert. „Was? Das kann doch nicht sein. Hab ich was falsch gemacht?“ - „Nein, hast du nicht. Es liegt an mir.“ - "Es liegt an dir? Du kannst doch nicht einfach so feststellen, dass deine Gefühle weg sind?! Tina, ich kann das nicht glauben! Du hast sicher nur einen schlechten Tag gehabt. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Lass uns morgen nochmal reden." Joey versuchte krampfhaft, sie zur Vernunft zu bringen.  
Sie sah ihn traurig an: "Joey, mit fällt das selber nicht leicht. Ich mag dich und weiß, dass ich dir sehr weh tue, aber ich kann dir nicht weiter in die Augen sehen und sagen, dass ich dich liebe, wenn ich nicht mehr davon überzeugt bin."  
Sie war bemüht, ihm die Sache so gut wie möglich aus ihrer Sicht zu schildern, aber er wollte es gar nicht wirklich begreifen.
Eine halbe Stunde später tauchte sie weinend in Paddys Zimmer auf, wo Mel saß. Sie nahm sie in den Arm und versuchte sie zu beruhigen, aber Tina schluchzte „Ich habe mich von ihm getrennt.“ - „Och Tina, so schnell gibst du auf? Hättest du nicht noch ein bisschen abwarten können und sehen, ob sich dein Gefühlschaos wieder legt?“  
Tina schüttelte den Kopf und setzte sich aufs Bett. „Nein, ich käme mir vor, als würde ich ihn belügen und das hat er nicht verdient.“ - Mel legte den Arm um sie „Ach, Süße...“
Da hörten sie zwei eifrig diskutierende Stimmen vor der Tür und John und Paddy kamen herein.  
„Was ist passiert?“ wollte Paddy ohne Umschweife wissen, als er die beiden sah.  
Mel antwortete für Tina, über die gerade ein neuer Schwall Tränen herein gebrochen war. „Tina hat sich von Joey getrennt.“ - „Ich geh mal nach Joey sehen.“ meinte sofort Johnny besorgt.  
Joey war einigermaßen gefasst, konnte aber immer noch nicht begreifen, dass Tina ihn nicht mehr wollte.  
Paddy ließ die Mädels allein in seinem Zimmer und ging zu Angelo, um ihm die neusten Geschehnisse im Hause Kelly zu berichten. Er schüttelte nur den Kopf. „Auch das noch. Die Frauen soll mal einer verstehen. Als hätten wir nicht genug Trouble in der Familie.“
Paddy horchte auf: "Wieso, was ist mit den Frauen? Gibt´s was Neues mit Kira?" - Angelo grummelte... "Ne, eben nicht. Ich komm partout nicht voran." - "Du kriegst den Mund nicht auf...ach Brüderchen." - Angelo sah ihn grimmig an: "Ja, und du musst dich gar nicht darüber lustig machen." - "Mach ich doch gar nicht, aber wenn du nichts unternimmst, wird nie was mit euch. Dann heiratet sie irgendwann einen anderen und bekommt mit ihm drei Kinder oder mehr." - Angelo sah ihn mit großen Augen an "Heiraten, drei Kinder?! Na, nu mach mal halb lang. Erstmal würde ich gerne mit der Frau zusammenkommen. An Kinder denke ich noch ewig nicht. Du hast Ideen. Und dann noch drei Stück. Am besten nacheinander wie die Orgelpfeifen, was?!Ne, ne." Er schüttelte den Kopf. - "Ich sag ja nur, du musst in die Puschen kommen! Sonst sucht sie sich irgendwann nen anderen. Und dann stehst du doof da, ne." - "Hm. Nen besseren als mich, kann sie ja gar nicht finden." Angelo zwinkerte seinem Bruder zu, der in lautes Gelächter ausbrach: "Ja, klar, aber dann überzeug sie auch davon. Oder soll ich etwa nachhelfen?!" - Angelo sprang auf: "Untersteh dich! Du blamierst mich nur."  
Sie überlegten noch eine Weile ernsthaft, was man machen könnte, kamen aber zu keinem eindeutigen Ergebnis.  
 
Als Tina sich bei Mel beruhigt hatte, holte sie ihre Sachen aus Joeys Zimmer. Sie schlief nachts bei Barby auf der Couch und fuhr am nächsten Tag nach Hause.
Joey, ganz Mann, überspielte die nächsten Tage, wie es in ihm aussah, doch Johnny ahnte, dass es ihm nicht gut ging. Aber Joey wollte nicht darüber reden. Er versuchte noch ein paar Mal bei Tina anzurufen, doch sie ließ sich jedes Mal verleugnen. Irgendwann gab er auf und versuchte seine Gedanken wieder auf die Musik zu richten. Seine Energie entlud er beim Laufen. Er spielte sogar mit dem Gedanken, mal an einem Marathon teilzunehmen.
Dann musste auch Mel wieder los, da die Ferien vorbei waren. Patricia brachte sie zum Bahnhof und Mel stieg tapfer in den Zug Richtung Heimat.