Nachrichten aus der Ferne

 

Diesmal hatte Mel kaum Zeit in Fernbeziehungsliebeskummer zu schwelgen, da die Konfirmationen vor der Tür standen und sie Gottesdienste und Reden vorzubereiten hatte.  
Es fiel ihr schwer, sich von ihren Konfirmanden zu trennen, da die ihr über das Jahr doch ans Herz gewachsen waren. Nur wenige würden bleiben, um ins Team zu kommen und die neuen Konfis zu betreuen.  
So liefen die Tage.  
Die Konfirmationen waren gut gelungen und auch über ihre Rede wurde viel gelacht. Sie hatte wie immer beim Abendmahl Angst, sie würde den Kelch mit Traubensaft fallen lassen und irgendjemandem über sein hübsches Kostüm kippen. Aber auch dieses Mal ging alles gut.  
Paddy rief Mel noch häufiger als sonst an.  
„Und, was von Tina gehört?“ fragte er jedes Mal.  
Irgendwann wurde es Mel zu bunt. „Sag Joey bitte, er soll selber versuchen sie zu sprechen. Die müssen das unter sich ausmachen.“ - Paddy fühlte sie ertappt. „Ja, mache  ich. Du hast ja Recht.“  
„Gibt es sonst was Neues bei dir?“ wollte sie neugierig wissen. - „Nö, nicht so viel. Das Übliche eben. Wir fahren morgen nach Italien. Dort wird ein Video gedreht. Wird sicher schön. Bin ganz gespannt, wenn ich schon laut Skript sehen, was für Kostüme wir tragen dürfen.“ - „Oh, Italien, da würde ich ja gerne mit.“ träumte sie vor sich hin. - „Ja, ich hätte dich auch gerne mitgenommen, aber geht ja nicht.“ - „Was sind denn das für Kostüme?“ - „Ich soll einen Zauberer spielen. Ich hoffe, das Kostüm ist auch so gut, wie ich mir das vorstelle. Nicht dass ich nachher wie eine Comicfigur aussehe.“  
„Ja, mach mir den Zauberer.“ Mel lachte los. „Zeigst du mir auch deinen Zauberstab?“ - Paddy schmunzelte: „Mel, du bist schlimm.“ - Sie kicherte: „Ja, ich weiß. Tut mir Leid. He, aber nicht dass du mir da die hübschen Italienerinnen abschleppst!“ - „Nein, hab ich doch gar keine Zeit zu...“ - „Ja super, das war die Antwort, die ich hören wollte.“ kam ironisch von Mel. - „Nein, Schatz, ich schau doch keine außer dir an.“ - „Na, das klingt schon besser, auch wenn ich dir kein Wort glaube. Habt ihr eigentlich mal was von Jimmy gehört?“ - „Nein, leider nicht. Er hat sich nicht wieder gemeldet, seit wir den Brief von ihm gefunden haben. Wir machen uns auch alle große Sorgen. Er war immer da, mein Leben lang, und nun ist er spurlos verschwunden. Da ist schon echt ein komisches Gefühl. Dazu kommt natürlich noch, unter welchen Umständen er abgehauen ist.“ - „Ja das glaube ich dir. Schatz, ich muss los, ich bin noch mit Tina verabredet.“ - „Okay, grüß sie mal von mir. Wir hören wieder.“ - „Ja, mache ich. Und grüß du mir den Rest. Viel Spaß in Italy!“
Mel machte sich auf den Weg in die Stadt, um sich mit Tina im Bistro zu treffen. Sie wollten lecker Croque essen und in aller Ruhe quatschen.  
„Na Süße, wie gehts dir?“ begrüßte Mel ihre Freundin dort vor der Tür. - „Mir geht es ganz gut und selbst?“ - „Bestens, bestens. Ich habe gerade mit Pad telefoniert. Ich soll dir schöne Grüße bestellen.“  
Sie gingen hinein und bestellten. „Von wem sollst du mir schöne Grüße bestellen?“ - „Na, von Pad. Ja, natürlich hat er auch wieder von Joey inkognito sozusagen gefragt, was es bei dir so gibt, aber ich habe ihm heute gesagt, Joey solle das mit dir selber klären.“ - „Ja, aber ich will nicht mit ihm reden.“ - „Wie? Du hast seit dem Tag, als du aus Köln weg bist nicht mehr mit ihm gesprochen? Das sind fast vier Wochen!?“  
Tina schüttelte den Kopf „Nein, ich bin nicht ran gegangen oder habe mich verleugnen lassen.“ - „Warum? Ich dachte freundschaftlich magst du ihn immer noch gerne?“ - „Ja, aber ich denke, es ist besser erstmal Gras über die Sache wachsen zu lassen. Ich will nicht, das er sich jedes mal Hoffnung, macht, wenn wir telefonieren.“  
Mel wollte sie nicht weiter drängen, da sie merkte, dass Tina das Thema unangenehm war.  
Sie verbrachten einen schönen Nachmittag und Mel machte sich wieder auf den Heimweg, als Tina zur Fahrschule musste.  
Mel lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke, während Kellysongs im Hintergrund liefen.  
Im Juni sind die Konzerte hier im Norden. Es waren sogar nicht nur zwei, wie anfangs geplant, sondern drei, da sie nun auch noch nach Flensburg sollten. Das waren noch etwas mehr als vier Wochen. Sie war ja jetzt schon so aufgeregt, wenn sie darüber nachdachte. Sie hätte anfangs nie gedacht, dass die Zeit ohne die Kellys so schnell laufen würde.  
Hm, fehlte ihr Paddy denn gar nicht richtig? Sie lächelte...doch er fehlte ihr ungemein! Sie konnte gar nicht in Worte fassen wie sehr. Man gut, es gab wenigstens einen Poeten in der Beziehung.  
Der Regen fiel an ihr Fenster. Sie liebte es, wenn sie ihn an die Scheibe klopfen hörte. Sie hörte noch eine Weile zu und dachte nach. Dann schlief sie ein und träumte von Hausbooten, Ferienwohnungen, Flohmärkten und natürlich den Kellys.
Am nächsten Tag kam sie aus der Schule und fand einen Brief. Sie freute sich immer, wenn ihr Poet ihr schrieb. Meist entstanden seine Briefe, wenn es nachts zu spät war, sie noch anzurufen, doch er ihr noch so viele Dinge zu sagen hatte. Aber jetzt hatte sie eher in den nächsten Tagen mit einer Postkarte aus Italien gerechnet, als heute mit einem Brief.  
Sie rannte freudestrahlend nach oben in ihr Zimmer und riss ihn auf.  
Doch er war nicht von Paddy. Er war von Jimmy.

 

Das erste, aber nicht einzige, was Mel sich fragte, war, warum er ihre Adresse noch wusste, aber sie hatte nicht die Ruhe darüber nachzudenken, denn die Neugierde trieb sie und sie begann zu lesen.  
 
„Liebe Mel, du fragst dich sicher, warum ich gerade dir schreibe. Ich weiß es selbst nicht genau. Ich denke, weil ich durch dich meinen gewohnten Weg verlassen habe. Dieser Weg war meine Familie. Ob das nun gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen, das wird sich zeigen. Und ob ich irgendwann auf diesen, in deinen Augen vielleicht richtigen, Weg zurückkehren werden, weiß ich auch nicht. Gut ist auf jeden Fall, dass ich dieses „Doppelleben“ nicht mehr führen muss.  
Diese heile Welt nach außen und in mir sieht es ganz anders aus. Irgendwann kam ich mit diesem Stress nicht mehr klar. Ich war schlichtweg überfordert. Natürlich bin ich von klein auf mit Musik und einer gewissen Art von Stress groß geworden, aber das war anders.  
Jetzt war auch dieser Druck da, nach außen hin immer ein gutes Bild abzugeben. Sich ja keinen Fehlschritt zu erlauben. Jetzt wollten ständig Leute dass ich lächelte, egal wie es in mir aussah, ich sollte lächeln.  
Weißt du, wie weh ein Lächeln tun kann, wenn man eigentlich weinen möchte?  
So fand ich Mittel und Wege zu lächeln, auch wenn mir nicht danach war.  
Ich weiß im Grunde genommen, dass diese Mittel nicht gut für mich sind, aber sie halfen mir erstmal, in dieser ach so „heilen“ Welt zu überleben.  
Ich schreibe dir auch, weil ich dir noch mal sagen wollte, dass es mir wirklich Leid tut, wie ich dich behandelt habe. Du konntest nichts dafür, sondern es war meine eigene Angst, die mich zur Furie werden ließ. Angst vor Entdeckung, Angst, dass alles immer so weiter laufen würde und Angst, dass nichts mehr so laufen würde wie bisher, einfach Angst mich dem Leben zu stellen, alles so hinzunehmen, wie es kommt und auch mit Konsequenzen umgehen zu müssen,  Angst vor der Reaktion meiner Geschwister, wenn sie sehen, dass ich nicht so stark bin, wie sie immer dachten.  
Bitte, liebe Mel, glaub mir, es tut mir mittlerweile unendlich Leid, dass du es warst, die an diesem Abend in mein Zimmer trat und dies alles ausbaden musste. Ich war einfach nicht ich selbst.
Ich möchte dir nicht sagen, wo ich bin, aber dich wissen lassen, dass es mir gut geht. Den Umständen entsprechend gut. Falls du dich fragst, ob ich mein kleines „Problem“ überwunden habe, muss ich dir leider sagen, nein, das habe ich noch nicht. Aber mir ist bewusst, dass ich ein Problem habe und das ist ein Anfang.  
Ich möchte jetzt sehen, was in mir steckt, was ich ohne meine Familie schaffen kann. Und ich möchte ihnen nicht in die Augen sehen müssen, bevor ich ihnen nichts Besseres von mir berichten kann.  
Ja, ich schäme mich für mein Verhalten vor meiner Abreise und auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung.  
Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung mit Paddy und dass es dir auch sonst gut geht. Falls du meiner Familie von diesem Brief berichten möchtest, ist das in Ordnung. Dann sag ihnen, dass sie mir fehlen.  
Ich habe kein Recht dazu und doch hoffe ich auf dein Verständnis.  
Dein Jimmy“
 
Mel saß ziemlich fassungslos da. Sie las den ganzen Brief nochmal und griff dann zum Handy, um Paddy anzurufen. Doch der ging nicht ran.  
Ja, richtig, er hatte ja diesen Clipdreh in Italien. Also sprach sie ihm auf die Mailbox, dass er sie dringend anrufen solle, sobald er die Nachricht abhöre.  
Doch das Telefon klingelte den ganzen Nachmittag nicht. Erst gegen neun sah sie Paddys Nummer auf dem Display.
„Hi Schatz!“ rief sie, doch sie konnte seine Antwort kaum verstehen, da im Hintergrund offenbar eine Art Party war. - „Mel, sprich lauter, ich kann dich gar nicht verstehen!“ - „Ich kann nicht so schreien, meine Eltern liegen schon im Bett! Paddy, bitte, es ist wichtig, es geht um Jimmy!“ - „Leute, könnt ihr nicht mal die Klappe halten!“ fuhr er seine Geschwister an.  
Es wurde geringfügig leiser im Hintergrund. „Was ist mit Jimmy?“ wandte er sich wieder Mel zu. - „Er hat sich gemeldet!“ Sie hörte eine Tür zufallen und es wurde still im Hintergrund.  
„Was war mit Jimmy?“ - „Ich habe einen Brief von ihm bekommen!“ - „Was? Wieso? Was schreibt er? Wo ist er? gehts ihm gut?“ - „Langsam, langsam, ich weiß nicht wo er ist, aber offenbar im Ausland. Und wenn ich den Stempel richtig deute, vermutlich in Irland.“  
Sie las ihm den Brief vor und auch er wollte ihn gerne noch ein zweites Mal hören. „Wow, das ist krass. Aber gut zu hören, dass es ihm einigermaßen gut geht. Sag mal, kannst du mir den Brief zukommen lassen?“ - „Euer Hotel hat doch sicher ein Faxgerät, oder?“  
Sie hörte eine Tür aufgehen, dann wurde es wieder lauter, aber bereits einen kurzen Moment später hörte sie den Lärm nur noch aus der Ferne. „Wo bist du eigentlich? Auf ner Party?“ - „Nein, ich bin im Hotel mit meinen Geschwistern, die sind alle so ausgelassen, weil wir heute sehr gut voran gekommen sind und der Tag sehr viel Spaß gemacht hat. Eben bin ich mit dir im Bad gewesen, damit ich überhaupt ein Wort verstehe. Bin gerade auf dem Weg ins Foyer. Warte mal.“


„Hey, do you have a fax machine?“ - „Si! Si!“ hörte sie eine männliche Stimme im Hintergrund. -„So, alles klar.“ Er diktierte ihr die Nummer. Mel war in der Zwischenzeit auch nach unten gelaufen und sendete ihm nun den Brief zu.  

 

Okay Schatz, danke! Sei nicht böse, ich möchte das gerne gleich den anderen sagen. Vielen Dank, dass du dich gleich gemeldet hast! Ich liebe dich!“ - „Natürlich willst du erstmal deinen Geschwistern Bescheid geben. Ist doch klar, die machen sich schließlich genauso Gedanken. Ich liebe dich auch.“
Paddy legte auf und musste sich erstmal setzen. Er las sich den Brief noch einmal in aller Ruhe durch. Er war gerade fertig, da kam Angelo ins Foyer.  
Er hatte Paddy mit einem aufgewühltem Gesichtsausdruck telefonierend durchs Zimmer rennen sehen und hatte das Gefühl, das etwas nicht in Ordnung war. „Hey, what´s up?“  
Paddy sah ihn flüchtig an und ging an ihm vorbei: „Komm, Familienkonferenz.“  
Ohne weitere Nachfragen folgte er seinem großen Bruder.  
Paddy ging zur Anlage und machte die Musik aus, was zur Folge hatte, das sämtliche Augen des Zimmers nun auf ihm ruhten. Anfangs noch mit lautem Protest, der aber sofort verstarb, als sie sein ernstes Gesicht sahen.  
„Was ist los?“ fragte Patricia. - „Setzt euch.“ forderte Paddy die anderen auf. „Mel hat Post bekommen. Von Jimmy.“  
Es folgten die gleichen Fragen, die er auch gestellt hatte, aus sieben Mündern gleichzeitig. Er setzte sich auf einen Tisch und als die anderen den Zettel in seinen Händen sahen, verstummten sie. Er begann langsam und laut vorzulesen. Dann reichte er den Brief weiter und einer nach dem anderen las ihn sich noch einmal in Ruhe durch.  
„Und nun? Was machen wir?“ fragte Maite. - „Was, „und nun“ ?? Wir können nichts machen! Wir sind genau so weit wie vorher. Wir haben keine Ahnung, wo er steckt.“ keifte Kathy.  
„Ja,“ sagte Barby bedächtig, „wir wissen nicht, wo er ist, aber wir wissen, dass es ihm soweit gut geht und das er zumindest innerlich auf dem Weg der Besserung ist.“ - „Wieso? Er nimmt das Zeug doch offenbar noch!“ rief Joey.  
„Ja,“ nickte Johnny, „aber er beginnt offenbar umzudenken. Er gesteht sich Fehler und Schwächen ein und gibt diese offen zu.“ - „Und er hat erkannt, dass er ein Problem hat.“ warf Patricia ein.  
„Jimmy ist stark, der schafft das schon!“ Doch Paddy bremste Angelo: „Nicht so stark, wie wir immer meinten. Aber ich denke auch, dass er es schaffen wird.“  
„Wenn wir ihm nur irgendwie eine Nachricht zukommen lassen könnten, um ihm zu sagen, dass wir hinter ihm stehen, egal was er für Probleme hat oder welchen Mist er gebaut hat!?“ grübelte Maite verzweifelt.  
Paddy presste die Lippen zusammen „Ich denke, ich muss Kathy Recht geben, wir können jetzt nichts machen. Nur abwarten, ob er sich wieder meldet und hoffen, dass er es alleine schafft.“
In den nächsten Wochen hörten sie nichts von ihm, was aber auch keiner wirklich erwartet hatte. Aber gehofft hatten sie es doch alle.  
 
Das in Italien gedrehte Video wurde gut angenommen und auch ihre Konzerte waren ausverkauft wie sonst. Doch die Fragen nach Jimmy wurden immer lauter. Schließlich beschloss man, wenigstens zum Teil die Wahrheit zu sagen. Sie erzählten, dass er in Irland sei, wo er sich eine Auszeit nähme und erstmal sein eigenes Ding mache. Ansonsten hielt man sich diplomatisch bedeckt.

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Kommentare: 7
  • #1

    nicky (Dienstag, 07 September 2010 15:25)

    ok kapitel 7 wäre auch geschafft! na da war ich ja sehr überrascht das Jimmy Mel geschrieben hat! und teilweise dachte ich mir bei manchen Szenen wieder einmal das es erstaunlich ist was du für eine Fantasie hast!da muss man erstmal drauf kommen!
    es geht dann mal weiter mit Kapitel 8

  • #2

    melsgesammeltekatastrophen (Dienstag, 07 September 2010)

    In welchen Szenen? *neugierig nachfrag*
    Und wieder einmal vielen Dank für dein Feedback! :-*
    Feedback ist der Lohn der Schreiberlinge :D

  • #3

    nicky (Dienstag, 07 September 2010 18:01)

    ich mach das gerne zu jedem Thema kurz oder auch lang irgendetwas zu schreiben!

    ich glaub das war irgendwas mit Patricia was sie gesagt hat!da dachte ich darauf muss man erstmal in der Fantasie drauf kommen!aber das war auch allgemein gedacht!

  • #4

    Anke (Montag, 21 Februar 2011 16:45)

    ich muss sagen es kommen immer wieder Wendungen mit denen man net rechtnet ;)
    Aber ich will gleich zum nächsten Kapitel ;)

  • #5

    Katrinka (Mittwoch, 27 Februar 2013 19:52)

    Der Brief von Jimmy gefällt mir. Den hast du wunderbar geschrieben.

  • #6

    Marie (Samstag, 30 März 2013 18:32)

    einfach nur toll :)

  • #7

    Gabriel (Samstag, 14 November 2015 13:10)

    Das ist cool das er sich gemäldet hat