Sehnsucht

Am nächsten Morgen saßen alle ziemlich gerädert am Frühstückstisch.

Morgen.“ brummten Mel und Paddy, als sie sich auf den letzten beiden freien Plätze niederließen. Ihre Augen drohten immer wieder zuzufallen, so dass sie erstmal beherzt nach der Kaffeekanne griff.
„Hat jemand zufällig eine Kopfschmerztablette?“

Jimmy hielt ihr sofort eine unter die Nase.

Danke. Oh, du siehst ja scheiße aus.“ stellte sie fest, als sie aufschaute. - „Schönen Dank. Ich kann die Tablette auch behalten, wenn dir das lieber ist.“ - „Nein, nein, alles bestens! Und was ich dir schon immer mal sagen wollte...du sieht toll aus, wie der strahlende Morgen!“ erwiderte sie grinsend und griff hastig nach der Aspirin.

Dann wanderte ihr Blick weiter zu Angelo, der nicht minder schlimm aussah als sein Bruder. Er hatte seinen Kopf in die Handfläche gestützt, was ihn aber kaum davon abhielt mit der Nase fast in seinem Müsli zu landen.

Was willst du essen?“ fragte Patricia, die im Gegensatz zu fast allen anderen wirklich taufrisch wirkte. - „Danke, nichts. Ich glaube, mein Magen muss noch ein bisschen geschont werden. Ich nehme vorerst mit dem Kaffee vorlieb.“

Paddy hatte dagegen kein Erbarmen mit seinem Verdauungsorgan und schlug sich seinen Teller bis zum Rand voll. Mel rümpfte die Nase beim Anblick des fettigen Thunfischs und wandte ihr Gesicht ab.

Paddy ignorierte das abwertende Geräusch, das sie parallel dazu machte, und wandte sich seinem ältesten Bruder zu. „Hey, wie sieht´s nun eigentlich aus, vertritt Adam dich, während du weg bist oder nicht?“ - „Na, ich fahre ja nur weg, falls er mich vertritt.“ stellte Johnny noch einmal klar. - „Ja, schon klar, aber wie seid ihr denn nun verblieben?“ - „Wahrscheinlich macht er es, ja. Aber er wollte nochmal mit Jenny reden und das alles klären, weil ich gesagt habe, dass Jenny für uns untragbar ist.“ - „Danke.“ warf Mel leise dazwischen und lächelte matt, bevor sie sich wieder den anderen zuwandte. „Maite, hast du dir denn gestern noch den Film angesehen?“ - „Nö.“ brummte sie, ohne aufzusehen. - „Hey, alles in Ordnung?“ - „Sicher doch.“ Maite wischte sich den Mund ab, stand auf und verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen.

Irritiert blickte Mel ihr nach.

Was ist denn mit der kaputt?“ fragte Paddy irritiert, ließ sich jedoch nicht davon abhalten, weiter zu essen. - „Keine Ahnung, aber ich glaube, ich werde dem mal auf den Grund gehen.“

Sie kippte sich ihre Tasse Kaffee hinunter und ging in die Richtung, in die Maite offenbar wütend abgezischt war.

Hey Süße, mach mal auf!“ rief sie leise, als sie bei ihr an die Tür klopfte, woraufhin sie dumpfe Schritte vernahm.

Was willst du?“ Maite spuckte ihr die Worte förmlich entgegen, als sie die Tür öffnete. - „Ich will wissen, was mit dir los ist. Wieso motzt du so rum?“ - „Ich? Du meinst, ich motze rum?! Entschuldige mal, aber wer keift mich denn ständig durch verschlossene Türen an?“ - „Was?! Maite, kann ich nicht wenigstens mal rein kommen?“ - „Na, meinetwegen...“

Sie schob die Tür ein Stück weiter auf, so dass Mel hindurch gehen konnte.

Diese setzte sich auf Tinas sorgfältig gemachtes Bett, während Maite sich auf ihr zerwühltes kauerte, die Beine anwinkelte und die Decke darüber zog. Missmutig fiel ihr Blick auf ihre Schwägerin, die sie fragend ansah.

Also, es tut mir leid, wenn du was in den falschen Hals bekommen hast, das war doch nicht böse gemeint.“ - „Das wirkte auf mich aber irgendwie anders und keine Sorge, ich werde mich nicht mehr aufdrängen.“ erwiderte sie eingeschnappt. - „Mensch, Maite, du weißt, wie gern ich dich habe! Da gab´s doch nie irgendwelche Zweifel dran, dachte ich.“ - „Ja, genau deshalb machst du mich auch die ganze Zeit blöde an.“ - „Manno, was soll denn das jetzt?! Gestern bist du nur echt immer in den unpassendsten Momenten aufgetaucht. Du bist doch sonst nicht so mimosenhaft, was ist denn los? War das jetzt so schlimm mit dem Film?“ - „Mit dem Film nicht, aber irgendwie nervt mich das alles. Du hast Paddy, Tina hat Joey offenbar wieder, Barby ist im Moment sowieso voll komisch und Tricia und Kathy haben kaum Zeit. Und mir fehlt Sam. Und dann fällt mir in meinem Zimmer die Decke auf den Kopf und überall wird man nur angeranzt, wenn man Ablenkung sucht.“ - „Oh Mann, das tut mir leid. Ich dachte, in so einer Großfamilie ist immer jemand da.“ - „Ja, das dachte ich auch mal.“ - „Und du hast ziemlich Sehnsucht nach deinem Männe, was?“

Maite nickte traurig. „Ich hab ihn ewig nicht gesehen, frag mich nicht wie lange. Wir telefonieren zwar immer, aber das ist doch nicht das gleiche. Ich will ihn sehen, riechen, schmecken, einfach in seinen Armen liegen.“ - „Ja, das glaube ich dir. Aber woher kommt das denn nun so heftig?“ - „Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe einen Tourkoller. Ich brauch dringend eine Pause.“ - „Aber ist doch nur noch morgen Abend und dann hast du es überstanden.“ - „Ich weiß.“ Sie nickte wieder und in ihren Augenwinkeln glitzerte die Vorfreude. „Es ist ja nichts gegen die Bühne oder gegen die Tour an sich und so. Ich liebe das alles, aber ein bisschen Urlaub täte gut. Einfach mal raus aus allem, so wie John gestern auch schon sagte. Bloß dass ich nicht nach Spanien will, sondern nur zu Sam und am liebsten mit ihm mal ein paar Tage wegfahren, irgendwo hin, wo wir ungestört sind.“ - „Macht das doch einfach mal. Was spricht denn dagegen?“

Maite schnaufte resigniert. „Ach, ich habe doch schon wieder läuten hören, dass die ganz spontane Pläne haben für ein Video, was noch zum Weihnachtsgeschäft raus kommen soll.“ - „Zum Weihnachtsgeschäft? Die sind doch übergeschnappt, das geht doch gar nicht! Abgesehen davon, dass das erst noch geschnitten werden muss, solltet ihr es erstmal drehen.“ - „Ja, eben! Aber John und Kathy haben sich das irgendwie überlegt und jetzt soll es nächste Woche los gehen.“ - „Wie los? Wohin?“ - „Nach Irland. Die wollen sich an irgendwelche Kreuzungen stellen und singen. Super Idee, was?“ Sie verdrehte stöhnend die Augen.

Wieso hast du denn keinen Widerspruch eingelegt?“ - „Weil ich einfach im Moment keinen Nerv habe, groß zu diskutieren. Ich bin schlicht kraftlos und urlaubsreif.“ - „Verstehe. Ich glaube, das geht aber euch allen nicht anders, oder?“ - „Ja, aber ich hab den Eindruck, die anderen schlaucht das nicht so wie mich. Ich weiß auch nicht, woher das kommt.“

Mel stand auf, setzte sich neben Maite und nahm sie in den Arm. „Leg dich doch erstmal hin und schlaf noch `ne Stunde. Das tut dir sicher gut.“ - „Ich habe keine Zeit! Wir müssen doch nachher schon weiter.“ - „Doch! Eine Stunde wird ja wohl drin sein und wenn ich dich alleine in Paddys Auto hinterher fahre. Du legst dich jetzt hin und ich werde schon mal deinen Koffer packen.“ - „Hm, okay. Danke. Du bist echt so lieb. Erst keife ich dich an und du verlierst trotzdem nicht die Geduld mit mir.“ Sie lächelte müde und streckte die Beine aus. - „Dafür sind Freunde doch da. So und nun schließ die Augen!“

Mel machte sich am Schrank zu schaffen und packte alles zusammen, was sie finden konnte. Als sie sich wieder umdrehte, hörte sie bereits gleichmäßige Atemgeräusche von ihrer Schwägerin.

Kurz darauf öffnete Tina leise die Tür und hinter ihr folgte Joey, den Mel aber postwendend wieder vor die Tür verfrachtete.

Was ist los?“ fragte Tina flüsternd und obwohl sie schon leise gesprochen hatte, legte Mel mahnend den Finger auf die Lippen. „Sie schläft, sie ist irgendwie völlig fertig. Sehnsucht nach Sam, Tourkoller und so weiter. Unserem Energiebündel ist die Kraft ausgegangen. Sie soll sich noch ein bisschen ausruhen, bevor wir nachher weiter müssen.“ Dann blickte sie sich um. „Deine Sachen sind schon gepackt?“ - „Ja, sicher, bin ja nicht ganz so chaotisch wie Maite.“ erklärte Tina und zwinkerte kichernd.

Als Maite sich daraufhin geräuschvoll auf die andere Seite drehte, scheuchte Mel Tina wild gestikulierend hinaus, dann schloss sie die Tür hinter sich und ging zu Paddy ins Zimmer.

Tina machte sich munteren Schrittes auf den Weg zu Joey, mit dem sie im Moment außergewöhnlich viel Zeit verbrachte.

Hey Schatz, was machst du?“ begrüßte Mel ihren Mann und gab ihm einen Kuss. - „Ich habe unsere Sachen gepackt, bin gerade fertig geworden.“ - „Fein, dann kann ich ja noch mal zu Kathy.“ Sie drehte sich schwungvoll wieder um, doch Paddy hielt sie an der Schulter fest.

Maus, warte mal.“ - „Wieso? Was ist denn noch?“ - „Setz dich bitte mal, ich muss was mit dir besprechen.“

Misstrauisch runzelte Mel die Stirn, nahm Platz und musterte ihn skeptisch. „Ist was passiert?“ - „Nein, nicht direkt.“ - „Wen hast du nun wieder fast geknutscht?“ - „Niemanden!“

Er schüttelte den Kopf und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, doch schnell wurde er wieder ernst. „Also, es ist so...hast du eine Ahnung, wo unsere letzte Station uns hinführt?“ - „Häh...ähm, nee, ehrlich gesagt nicht. Ich hab da nicht so den Kopf für gehabt, wozu denn auch. Ich reise mit, so wie immer halt. Wieso?“ antwortete sie grinsend.

Paddy rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, sprang schließlich auf und lief durch´s Zimmer.

Paddy, jetzt sag schon! Was ist denn dein Problem?“ hakte Mel nun nach, die inzwischen durch seine Nervosität angesteckt worden war.

Er blieb stehen und schnaufte einmal kräftig, bevor er ihren Blick aufgriff. „Schatz, wir fahren heute nach Kiel. Ich dachte, du weißt das, aber da du dich bisher weder quer gestellt, noch sonst irgendwas gesagt hast, hielt ich es für besser, das noch einmal abzuklären, bevor du vor vollendeten Tatsachen stehst.“ - „Ja und? Was ist jetzt an Kiel so schlimm? Okay, es ist nahe bei meinen Eltern und ich sollte mir überlegen, ob ich sie nicht dorthin einladen möchte, aber wieso machst du da jetzt so ein Drama draus?“

Er raufte sich unsicher die Haare, kniete sich vor sie und nahm ihre Hände in seine. „Mel, ich werde nach Kappeln fahren und zum Grab gehen. Ich war schon viel zu lange nicht dort.“

Sie atmete tief ein und hielt die Luft einen Augenblick an. „Oh...“

Schwach ließ sie den Kopf sinken und er konnte ein deutliches Schlucken hören. Er umfasste ihre Hände ein wenig fester, doch sie entzog ihm die eine und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

Ist alles in Ordnung?“ fragte er leise, doch sie zuckte nur mit den Schultern.

Leise zog sie die laufende Nase hoch und er wühlte mit einer Hand in seiner Hosentasche, um ihr kurz darauf ein gebrauchtes Taschentuch zu reichen.

Schweigend hockte er vor ihr und gab ihr Zeit, bis sie wusste, ob und was sie sagen wollte.

Du willst, dass ich mitkomme, richtig?“ Ihre Stimme zitterte und sie hatte große Mühe, sie aufrecht zu erhalten. - „Ja und nein. Ich möchte, dass du mitgehst, denn es ist an der Zeit, aber ich werde dich nicht dazu drängen. Es ist alleine deine Entscheidung, aber du musst eben wissen, dass ich fahren werde. Lena hat sich in den letzten Monaten um das Grab gekümmert und ich wollte schon lange hinfahren, aber ich hatte das Gefühl, du warst noch nicht soweit. Jetzt bin ich mir immer noch nicht sicher, aber ich muss einfach hin. Verstehst du mich?“ - „Ja, ich verstehe dich, aber ich weiß nicht, ob ich mitgehen kann, also ob ich die nötige Kraft besitze.“

Es stimmte, sie wusste es wirklich nicht. Sie hatte ihren Sohn nicht vergessen, nein, nicht einmal verdrängt. Beinahe jeden Tag dachte sie an ihn, doch sie hatte so schreckliche Angst, dem Grab gegenüber zu treten. So oft war sie in Gedanken schon dort gewesen, aber wie würde es sein, wenn sie tatsächlich wieder den Kies unter ihren Schuhen knirschen hörte oder an der kleinen Kapelle vorbei musste, wo sie sich erst von Caro und dann von Merlin hatte verabschieden müssen? Wenn ihr der Geruch der Erde und Birken in ihre Nase kriechen würde?

Abwesend starrte sie auf den Teppich des Hotelzimmers.

Süße, ist alles okay?“ - „Nein, Paddy, du hast einen Socken unter dem Bett vergessen.“ - „Was?“ - „Da vorne liegt er.“

Ohne sich auch nur nach dem vermeintlichen Strumpf umzusehen, legte er die Hand auf ihre Wange und schob ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen musste.

Mel, hör auf abzulenken, du brauchst mich nicht zu begleiten. Du kannst auch den Wagen nehmen und nach Hause auf´s Schloss fahren!“

Sie schloss müde die Augen und lehnte ihren Kopf in seine offene Handfläche.

Es ist so schwer...“ seufzte sie und er nickte. „Ich weiß.“

Es herrschte einen Moment Stille im Raum, dann öffnete sie die Augen und sah ihn traurig an.

Ich werde erstmal mit nach Kiel kommen, dann sehen wir weiter, ist das okay?“ - „Für mich ist alles okay. Hauptsache, du meinst, es ist für dich die richtige Entscheidung. Na, komm mal her.“

Er zog sie in seinen Arm und streichelte ihr sanft den Nacken.

Ihr war auf einmal so kalt, dass sie am ganzen Körper zitterte und auch die Wärme seiner Arme konnte es nicht besser machen.

Ich kann mir denken, dass du Angst hast, das ging mir nicht anders.“ - „Ich weiß.“ erwiderte sie leise und versuchte weiter, ihren Körper unter Kontrolle zu bringen.

Sie wusste, es war lange überfällig, schon längst wäre es an der Zeit gewesen, das Grab aufzusuchen, aber sie hatte es immer wieder geschafft, es vor sich hinzuschieben. Nicht mal zwischen Paddy und ihr war es ein Thema gewesen. Sie hatte bisher nicht einmal gewusst, dass er schon da gewesen war, obwohl sie es sich nach all der Zeit hätte denken sollen.

Bist du oft bei ihm gewesen?“ - „Naja, so oft es ging, aber seit du wieder da warst, habe ich es irgendwie nicht mehr gewagt.“ - „Wie sieht es dort aus?“

Er löste sich von ihr und schaute sie ruhig an. „Der kleine Baum ist ordentlich gewachsen und wir haben immer dafür gesorgt, dass bunte Blumen unter ihm blühten. Jetzt im Winter ist es natürlich schlecht, aber ich und deine Eltern haben letztes Jahr auch bei Frost immer wieder welche hingebracht, auch wenn sie bei den Temperaturen nicht lange hielten.“

Mel schämte sich fast ein bisschen, bei dem Gedanken, dass sie ihm noch nie Blumen gebracht hatte oder auch nur einfach da gewesen war.

Wie ging es dir dort?“

Er zog die Luft zwischen die Zähne hindurch ein und wog den Kopf hin und her. „Leicht war es nicht, aber für mich war es immer noch zusätzlich ein Anlaufpunkt mehr, als du weg warst. Ich habe mit ihm gesprochen und viel gebetet. Oder ich habe einfach nur da gesessen im Sommer und ihm Gesellschaft geleistet. Außerdem...“ - „Ja?“ - „Tja, außerdem hatte ich immer irgendwie noch die Hoffnung, du könntest dort plötzlich um die Ecke marschieren.“

Plötzlich klopfte es und Angelo trat herein. „Paddy, hast du mal einen Moment?“ - „Ja, sicher.“ Dann wandte er sich Mel zu und gab ihr einen Kuss. „Also überleg dir in Ruhe, was du willst, okay?“

Sie nickte schweigend und Angelos Blick traf sie. „Stör ich?“ - „Ach was.“ beruhigte sie ihn gezwungen lächelnd und stand ebenso wie Paddy auf. „Ich wollte ohnehin gerade zu Kathy. Ist sie in ihrem Zimmer?“ - „Ja, ist sie. Sie ist gerade fertig mit Packen.“

Mel zog den Bauch ein und schlängelte sich an den beiden vorbei, die gerade ziemlich im Weg standen.

Als sie bei Kathy an die Tür klopfte, wurde sie rasch herein gebeten.

Hallo Mel, was führt dich hierher?“

Eben war sie noch so fest entschlossen gewesen, doch nun begann sie, herum zu drucksen. „Du Kathy, ich würde gerne etwas mit dir besprechen. Ich weiß, dass es mich eigentlich nichts angeht, aber ich bin ja nun mit Paddy verheiratet und damit auch ein Teil der Familie.“

Kathy zog verwirrt die Brauen zusammen. „Mel, was ist los? Was willst du?“ - „Naja, Maite hat mir von euren Plänen erzählt, dass ihr bald nach Irland wollt, um ein Video aufzunehmen.“ fing sie an und setzte sich auf einen freien Stuhl. - „Ja, und?“ - „Kathy, sie ist total fertig.“ - „Wegen dem Videodreh?!“ - „Nein, nicht wegen des Videos, aber ihr seid seit Monaten auf Tour, sie kann einfach nicht mehr. Paddy kämpft auch jeden Tag mit sich, auch wenn er immer versucht dies zu überspielen und sei mal ganz ehrlich, für dich ist das ganze doch auch alles andere als leicht. Dann hast du auch noch Sean. Kathy, ihr braucht diese Pause von wenigstens zwei/drei Wochen mal!“

Kathy schmunzelte und es wirkte auf Mel ein bisschen herablassend. „Hey, wir sind dieses Pensum von klein auf gewöhnt. Früher haben wir drei Mal so viele Konzerte gegeben.“ - „Ja, das stimmt, aber egal wie viel und lange ihr das gewohnt seid und wie viel ihr früher aushalten konntet, das ändert nichts an der Tatsache, dass ihr fertig mit den Nerven seid! Du kannst euren Erfolg nicht zu Lasten eurer Gesundheit aufbauen.“ - „Wieso ich?“ - „Okay, sorry, ihr könnt das nicht.“

Kathy schwieg einen Augenblick und sah aus dem Fenster, während sie nachdachte.

Gut, ich gebe zu, wir haben ganz gut was geleistet dies Jahr, aber wir sind doch nicht fertig oder gar am Ende!“ - „Du vielleicht nicht, auch wenn ich das kaum glauben kann, aber hast du dir mal deine Geschwister genau angesehen? Jimmy hat täglich solche Ringe unter den Augen, dass ich schon anfange, mir Sorgen um ihn zu machen, dass es ihm wieder zu viel werden könnte. Und Barby, Kathy, die ist doch kaum noch wiederzuerkennen!“

Kathys Augen verrieten, wie sehr sie sich auf den Schlips getreten fühlte. Sie liebte ihre Geschwister und fand es beschämend, dass Mel ihr mehr oder weniger vorwarf, dass sie sich nicht um den gesundheitlichen oder nervlichen Zustand von ihnen scheren würde. Trotzdem musste sie zugeben, dass sie Recht hatte und allen eine Pause gut tun würde.

Und was sollen wir deiner Meinung nach machen?“ fragte sie und immer noch lang etwas Spöttisches in ihrer Stimme. - „Ich weiß nicht, aber ich würde es für das Beste halten, wenn ihr den Dreh verschiebt.“ - „Wie stellst du dir das vor?“ - „Maite sagte, ihr singt dort an irgendwelchen Kreuzungen. Das könnt ihr doch jederzeit machen, da seid ihr ungebunden. Und es tut zwar nichts zur Sache, aber ich versteh den Sinn sowieso nicht ganz.“ - „Das hat was mit früher zu tun. Damals haben sich Musikanten immer an den Crossroads getroffen und gemeinsam Musik gemacht.“ - „Und mit wem trefft ihr euch?“ - „Wie meinst du das?“ - „Na, mit welchen Musikern?“ - „Mit niemandem. Wir sind doch schon genug Leute.“ - „Aber wäre es nicht viel besser, wenn ihr euch entsprechend dieser Tradition mit anderen Musikern trefft und gemeinsam singt? Da würde sich das Video bestimmt auch noch besser verkaufen lassen.“ - „Das schaffen wir doch zeitlich gar nicht mehr. Sowas muss langfristiger geplant werden, wenn man noch andere mit ins Boot holen will.“ - „Aber wenn ihr das ganze doch verschiebt, wäre das möglich. Außerdem wäre das doch auch für euch eine großartige Erfahrung. Ich meine, ich weiß zwar nicht, wen ihr dann anschreiben würdet, aber so oder so, wäre das doch sicher unvergesslich, oder?“ - „Ja, schon, da hast du Recht.“ - „Und dann kommt es eben nicht zum Weihnachtsgeschäft sondern zu Ostern raus, das ginge doch auch. Und wenn ihr unbedingt noch was für Weihnachten haben wollt, bringt doch eine Single raus, die sind bereits aufgenommen. Packt noch eine Live Version und einen Bonus Track drauf und die Fans sind glücklich.“

Skeptisch betrachtete Kathy sie von der Seite. „Willst du dich jetzt in unsere Bandplanung einmischen, oder wie?“ - „Nein, nicht generell, bekomm das bitte nicht in den falschen Hals, es ist nur ein Vorschlag, der euch Arbeit ersparen soll, damit ihr eure Batterien wieder aufladen könnt.“ - „Du tust wirklich so, als würden wir alle vor einem Zusammenbruch stehen.“

Mel seufzte und erhob sich. „Das nicht direkt, aber passt auf, dass es nicht so weit kommt...Denk doch einfach mal darüber nach.“

Kathy presste die Lippen zusammen und nickte zögernd, bevor Mel sich umdrehte und wieder zu Paddy ging.

Angelo saß immer noch bei ihm im Zimmer und brach mitten im Satz ab, als sie durch die Tür trat.

Stör ich?“ - „Nee...“ erwiderte er, wirkte aber nicht sonderlich überzeugend. - „Denn ist ja gut, aber ich wollte sowieso nochmal zu Barby. Bis später.“

Sie kehrte auf der Schwelle um und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

Irgendwas schien Angelo auf dem Herzen zu haben, da wollte sie ihn wirklich nicht davon abhalten, einen brüderlichen Rat einzuholen.

Als sie auf den Flur kam, sah sie zwei Gestalten am Ende des Ganges, die Richtung Fahrstuhl gingen. Langsam schlenderten sie wortlos nebeneinander her und Mel brauchte keine zwei Sekunden, um Tina und Joey zu erkennen. Sie wollte gerade auf sich aufmerksam machen, als sie beobachtete, wie Tinas Hand vorsichtig nach seiner suchte und sie schließlich fest umschloss.

Mel blieb lächelnd stehen und wartete, bis die beiden außer Sichtweite waren. Sie würde einen Teufel tun, die offenbar traute Zweisamkeit zu stören.

Aus Barbys Zimmer hörte sie leise Stimmen und sie haderte kurz mit sich, ob sie dort auch stören sollte, klopfte dann aber. Es war Patricia, die mit ihrer Schwester zusammen saß und redete. Barby sah müde aus, lächelte jedoch, als Mel herein kam.

Stör ich euch gerade?“ - „Nein, absolut nicht, komm rein. Wir haben nur gerade über Männer geredet.“ begrüßte Barby sie und klopfte mit der Hand neben sich auf die Matratze zum Zeichen, dass sie sich setzen sollte. - „Über Männer? Gibt es einen Anlass?“ - „Ich habe einen Brief bekommen.“

Mel ließ sich nicht zwei Mal bitten, nahm Platz und linste neugierig auf den Zettel, den Barby in der Hand hielt.

Erst dachte ich, es sei ein ganz normaler Fanbrief, aber irgendwie scheint es kein Fan zu sein, sondern jemand, der mich noch von früher kennt.“ - „Wieso irgendwie? Steht kein Name drunter?“ - „Nein. Aber eine Telefonnummer.“ - „Wie aufregend. Darf ich den Brief mal lesen?“ - „Klar.“

Sie reichte ihn Mel, deren Augen flink über die freundlichen Worte huschten.

Mann, das klingt echt gut. Und? Rufst du an?“ - „Ich weiß nicht. Tricia ist auch dagegen.“ - „Ja, es könnte doch auch ein Fan sein, der nur sehr kreativ lügen kann. Oder noch schlimmer irgendein durchgeknallter Wahnsinniger.“ erklärte Patricia ihre Sichtweise. - „Ja, das wäre natürlich fatal. Ich wäre da auch vorsichtig. Aber ich kann auch verstehen, dass du neugierig bist, so wie der geschrieben ist. Und was wirst du tun?“ - „Da ich wie gesagt noch nicht weiß, was ich machen soll, werde ich es vorerst auf sich beruhen lassen. Und wo willst du schon wieder hin?“ fragte sie Mel stirnrunzelnd, als diese schon wieder aufstand. - „Ich muss noch was erledigen, wir sehen uns später.“

Sie hob kurz die Hand zum Abschied und machte sich wieder auf den Weg in ihr Zimmer.

Angelo und Paddy saßen nach wie vor auf dem Bett und führten Männergespräche.

Jungs, lasst euch nicht stören, ich bin gleich wieder weg. Paddy, kann ich dein Handy leihen?“ - „Hm, ja von mir aus. Aber was hast du vor, willst du nochmal weg?“ Verwundert verfolgte er, wie sie in ihre Jacke schlüpfte und nach ihrem Portemonnaie suchte.

Ja, ich muss nochmal in die Stadt.“ - „Mel, das ist schlecht. Johnny war gerade schon hier und hat Bescheid gesagt, dass es in zehn Minuten los geht. Ich hätte schon lange unsere Sachen runter bringen müssen.“ - „In zehn Minuten? Das geht nicht, Maite schläft doch noch!“ - „Ne, die hatte er offenbar auch schon geweckt.“ - „Oh Mann, so ein Idiot! Okay, denn lass uns. Ich bring schon mal unseren Kram runter.“ - „Ne, lass mal, das machen wir gleich, aber du kannst es dir ja schon im Bus bequem machen.“ - „Ja, mal schauen. Bis gleich.“ Mel steckte Paddys Handy in die Tasche und ging nach unten, wo sie auf Jimmy und Joey traf, der sich gerade mit Tina darum stritt, dass es sehr wohl seine Aufgabe gewesen war, auch ihre Sachen nach unten zu bringen.

Tatsächlich saßen wenig später alle gemeinsam im Bus und warteten darauf, in den Norden zu fahren.

Maite hatte es sich in ihrer Koje gemütlich gemacht, um weiter zu schlafen, nachdem Mel ihre Entschuldigungstiraden beendet hatte.

Sie sprang überraschend gut gelaunt durch den Bus, so dass Paddy sich schon Sorgen machte.

Schatz, hast du getrunken?“ - „Hä? Ne, wieso?“ - „Du bist so aufgedreht, du machst mir Angst.“ - „Hab keine Angst, ich bin´s doch nur.“ kicherte sie und gab ihm einen Kuss. - „Mel, du verwirrst mich. Was ist in dich gefahren?“ - „Gar nichts.“ trällerte sie. - „Das glaube ich dir irgendwie nicht.“ - „Du kannst vielleicht alles essen, aber du musst nicht alles wissen.“ - „Ne, stimmt auch nicht, meist kommt Angie mir zuvor und ich muss mit den Resten vorlieb nehmen.“ erwiderte er grinsend und erntete einen leichten Seitenhieb seines Bruders, der neben ihm auf der hintersten Bank saß.

Paddy fing an, sich mit ihm zu kappeln und wunderte sich nicht weiter über die Launen seiner Frau.

Ihre Stimmung wurde aber auch wieder ruhiger, je weiter sie nach Norden kamen und schließlich konnte man sie nur noch als bedrückt bezeichnen.

Alles in Ordnung, Schatz?“ fragte Paddy, als er sich zu ihr auf den Rand seiner Koje setzte.

Sie hatte irgendwann die aufgedrehten Gespräche der Familie nicht mehr ausgehalten und sich hingelegt.

In ihrem Kopf spukten unzählige Gedanken und sie hatte Schwierigkeiten, sich auf einen von ihnen zu konzentrieren.

Doch der Tenor war eindeutig negativ. Immer wieder tauchten Bilder von Merlin vor ihrem inneren Auge auf und wie sie am Ende vor dem Grabstein gestanden hatten. Leise schwebte die Melodie von „When you sleep“ in ihr und riss sie aus der Gegenwart.

Krampfhaft versuchte sie sich zurückzuholen. Was hatte sie doch versucht sich einzuprägen, sie musste es akzeptieren, den Schmerz annehmen und lernen, damit zu leben...

Obwohl ihr das in den letzten Monaten im Verhältnis die meiste Zeit geglückt war, wusste sie jetzt nicht einmal ansatzweise, wie sie das zustande gebracht hatte.

Mel?“ Paddy hatte ihr die Hand auf den Oberarm gelegt und streichelte sie nun sanft. - „Ja?“ - „Ich hab dich eben gefragt, ob alles in Ordnung ist.“ - „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ - „Ziemlich tief in Gedanken, würde ich sagen. Darf ich fragen, wo?“

Sie antwortete nicht, sondern zuckte nur traurig mit den Schultern, woraufhin er bedächtig nickte.

Mach dich nicht verrückt. Wenn du meinst, du schaffst es nicht, dann musst du nicht. Verlier nicht den Kopf, bevor es soweit ist. Geh mit zu den anderen, dann kommst du ein bisschen auf andere Gedanken.“ - „Ich mag nicht.“ - „Es würde dir aber gut tun, da bin ich mir sicher. Wir wollten gerade etwas spielen, das lenkt dich bestimmt ab.“

Genau! Ich weiß zwar nicht, wovon es dich ablenken soll, aber spielen ist immer gut! Los, Mel, hoch mit dir!“ rief Maite wieder fröhlich wie eh und je. - „Du hast offenbar ausgeschlafen...“ brummte Mel und verdrehte die Augen. - „Richtig und nun wird gespielt, keine Widerrede!“

Mel stöhnte und gab sich geschlagen. Sie setzte sich auf die Kante, wo Paddy sie mit ausgestreckten Armen in Empfang nahm.

So, nun wird gekniffelt!“ rief Maite und schob ihre Geschwister ein bisschen zusammen, damit sie auch noch einen Platz auf der Bank fand. - „Mit 10 Leuten?“ hakte Mel skeptisch nach. „Das dauert doch ewig, bis man wieder dran ist!“ - „Ja, deshalb spielen wir auch die Kelly Variante.“ - „Kelly Variante?!“ - „Ja!“ Feixend stellte Maite zwei Würfelbecher auf den Tisch und ließ zehn Würfel daneben fallen. „Doppelt hält besser...naja beziehungsweise geht schneller.“ - „Klingt gut. Na, denn mal los.“

Ich fang an!“ rief Angelo, dessen Laune sich ebenfalls zumindest geringfügig gebessert hatte.

Hastig griff er nach einem der Becher, während Mel die Zettel zum Aufschreiben verteilte. „Hier, setz bloß gleich dein XY darauf, damit wir nachher nicht alles durcheinander bringen.“ - „Sehr witzig, also meinen Namen kann ich schon noch schreiben.“ Er kicherte amüsiert, während er sein Spielblatt kennzeichnete. - „Na, wenn du deinen Namen schreiben kannst, ist doch der Anfang schon gemacht, den Rest schaffst du dann schon auch noch. Fehlen ja nur noch 20 weitere Buchstaben.“ - „Du und Paddy, ihr passt echt gut zusammen...“

Er brach ab, bevor er diese These weiter vertiefen konnte, denn im gleichen Moment brach er in Jubelstürme aus. „Kniffel!! Und das auf einen Streich! Glück muss der Mensch haben!“ - „Ja, der dümmste Bauer erntet immer die größten Äpfel, oder wie ging der Spruch?“ kommentierte John und nahm sich den Würfelbecher. - „Kartoffeln, John, es waren die Kartoffeln!“ korrigierte Mel ihn grölend und griff nach dem Becher, den Joey ihr gerade entgegen hielt.

Lästert ihr nur, so viel ihr wollt, aber ich habe den Kniffel gehabt. Das ist doch nur der pure Neid, der aus euch spricht!“ Süffisant grinsend lehnte Angelo sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ha! Los Mel, sag mir einen Satz mit X, richtig, das war wohl nix!“ lachte er, als Mel drei sehr erfolglose Versuche hinter sich hatte und eine äußerst geringe Punktzahl auf die „Chance“ schreiben musste.

Hey Leute, wie praktisch, dass ihr alle zusammen sitzt. Ich möchte gerne eine Meinung von euch hören.“ ertönte plötzlich Kathys Stimme, die die einzige war, die beim Spielen gefehlt hatte und nun nach hinten gekommen war.

Worum geht’s?“ fragte John und beobachtete aufmerksam, wie Jimmy würfelte, da dieser bekannt dafür war, dass er auch gerne einmal mogelte. Eigentlich war er zwar einer von der ehrlichen Sorte, aber bevor er verlieren würde, griff er eben auch zu anderen Mitteln.

Hey hey hey, Jimbo, das waren schon drei Mal!“ bremste er seine Bruder auch gleich, der erneut angesetzt hatte zu würfeln. - „Was? Stimmt nicht!“ - „Stimmt wohl! Du darfst nicht nochmal!“ - „Was soll ich denn aufschreiben?!“ fragte er verzweifelt. - „Nix!“ rief Angelo schadenfroh und freute sich darüber, dass der Punkteabstand zum Rest der Familie immer größer wurde.

Hey! Könntet ihr bitte mal aufhören damit und mir zuhören? Es ist wichtig!“ erhob Kathy nun ihre Stimme und brachte die anderen tatsächlich dazu, die Becher hinzustellen und aufzusehen.

Na, geht doch... Also ich würde gerne mal wissen, was ihr von der Idee haltet, die Videoaufnahmen, die geplant sind, zu verschieben und wenn wir das Projekt dann in Angriff nehmen, ein paar andere Musiker einzuladen, um das mit denen zusammen zu machen?“ - „Und was machen wir stattdessen nächste Woche?“ wollte Maite wissen und klang schon wieder leicht gereizt. - „Gar nichts.“ - „Was heißt gar nichts?“ - „Okay, gar nichts ist vielleicht etwas übertrieben, also von mir aus kannst du die Beine hoch legen, fernsehen oder auch tanzen. Das ist mir gleich.“

Verblüffung stand Maite ins Gesicht geschrieben. „Und das Projekt?“ - „Wird wie gesagt verschoben und dann in anderer Form umgesetzt. Natürlich nur, wenn ihr damit einverstanden seid.“ - „Also ich auf alle Fälle.“ freute sich Maite und auch Paddy lehnte sich erleichtert zurück. „Für mich klingt das auch sehr gut. An wen hast du denn so gedacht?“ - „Wie wäre es zum Beispiel mit den Chieftains?“ - „Klar, kannst ja auch gleich noch Joe Cocker anrufen...“ lachte er und schnappte sich die Selterflasche vom Fußboden. - „Ja, mach dich nur lustig, es war ja bloß ein Vorschlag.“ - „Sorry, war nicht so gemeint. Ein paar Tage frei täten uns allen sehr gut! Ich finde die Idee super, vor allem das mit den anderen Musikern! Manchmal überraschst du mich echt, Kathy. “ - „Danke für die Blumen, aber die Ideen stammen von deiner Angetrauten.“ erklärte sie beschwichtigt und deutete mit dem Kopf zu Mel, auf der sofort sämtliche Blicke ruhten.

Sie lächelte übertrieben, ließ die Mundwinkel jedoch schnell wieder sinken und grinste ehrlich.

Vorsichtig schaute sie zu Maite hinüber, die mit ihren Lippen ein wortloses „Danke“ formte. Kaum merklich nickte sie zur Antwort, wurde jedoch jäh aus ihrem stummen Zwiegespräch gerissen, als Paddy beide Arme um sie schlang und sie regelrecht auf die Bank hinunter drückte.
„Und was machen wir zwei, wenn wir frei haben?!“ fragte er aufgedreht und küsste zärtlich ihren Hals. - „Keine Ahnung, aber ich muss erstmal den heutigen und morgigen Tag überstehen, dann können wir uns darüber Gedanken machen.“ - „Ja, stimmt schon.“ gab er ihr Recht und zuckte mit einem lauten Schmerzlaut zusammen.

Paddy, hier sind noch Minderjährige unter uns, reißt euch mal ein bisschen zusammen!“ grölte Jimmy, der ihm nur Sekunden zuvor seinen Ellenbogen in den Rücken gehauen hatte. Paddy richtete sich auf und wollte ihn kräftig anschubsen, doch der Minderjährige unter ihnen, der auf der anderen Seite von Jimmy saß, hatte den gleichen Instinkt und so wurde Jim nun von beiden Seiten mächtig gequetscht. „Ööööiii!“ protestierte er lautstark und schnappte nach Luft.

Leute! Was ist denn nun? Wer von euch ist dafür, dass wir das ganze verschieben?“ brachte Kathy es ungeduldig auf den Punkt, woraufhin sämtliche Hände nach oben schnellten. „Gut, dann sehe ich das mal als angenommen. Bis später, ich hau mich nochmal eine Stunde auf´s Ohr.“

Los! Weiter jetzt! Ich war dran, also gebt mir mal den Becher mit den Würfeln! Es ist Zeit, dass der Meister noch einen Kniffel hinterher schiebt!“ rief Angelo, der am Schluss auch tatsächlich den Sieg nach Hause trug.

Das Wetter war hervorragend, der Himmel blau und trotzdem waren die Temperaturen erstaunlich mild. Paddy tanzte mit hervorragender Laune durch die Gegend und als sie an einem Rastplatz Pause machten, jagte er Mel erstmal quer über ein angrenzendes Feld.

Hör auf! Lass mich, ich kann nicht mehr!“ japste sie, während sie über ihre Schulter schaute.

Leider sah sie die Pfütze nicht, die sich direkt vor ihren Füßen befand und in die sie nun trat und vollkommen das Gleichgewicht verlor, so dass sie komplett im Matsch lag.

Scheiße! Ich habe dir gesagt, dass das eine blöde Idee ist.“ - „Ich wollte doch nur...“ - „Ja, du wolltest nur...Guck dir an, wie ich aussehe!“ jammerte sie vorwurfsvoll, während sie sich vom Boden aufklaubte.

Er hatte sie inzwischen eingeholt und konnte sich trotz oder gerade wegen ihres schmollenden Gesichtes ein fettes Grinsen nicht verkneifen. „Du bist ganz schön dreckig! Solltest du nicht aus dem Alter raus sein, in dem man im Schmutz spielt?“ - „Haha! Mir ist kalt!“ maulte sie, doch Paddy freute sich, dass er sein Ziel erreicht hatte, sie weiter auf andere Gedanken zu bringen. „Quengel nicht so herum.“ - „Quengeln? Na warte!“ Giftig grinsend verengte sie die Augen zu schmalen Schlitzen, nahm Anlauf und sprang ihm auf den Arm.

Mel! Bist du bescheuert?!“ schrie er glucksend, schaffte es jedoch nicht, seine Frau davon abzuhalten, sich mit ihren schmodderigen Klamotten an ihn zu pressen. Auch sie gackerte nun vor Vergnügen und ehe er sich versah, wischte sie ihm mit den matschigen Händen quer durch´s Gesicht.

Du tickst doch nicht mehr ganz sauber!“ - „Ne und du nun auch nicht mehr!“ lachte sie, legte ihre Finger in seinen Nacken und küsste ihn.

Die Kälte kroch durch ihre nassen Klamotten und ließ beide zittern, so dass Paddy sie herunter ließ und sie sich Hand in Hand auf dem Weg zum Bus zurück machten.

Mann, wie seht ihr denn aus!?“ brüllte Jimmy vor lachen und schnappte sich die Kamera, die Patricia gerade in der Hand gehalten hatte. - „Wieso? Wie sehen wir denn aus?“ fragte Mel scheinheilig und ging langsam auf ihn zu. „Und du wagst es nicht, ein Foto davon zu machen!“ - „Wetten wir!“ - „Die Wette verlierst du!“

Sie raste hinter ihm her, doch leider war er um einiges schneller und schließlich gab sie auf.

Kommt, Leute, wir wollen weiter!“ rief Joey und Mel kehrte zum Bus zurück.

Auch Jimmy stand kurz darauf neben ihr und drängelte sich grinsend an ihr vorbei. „Die Wette habe ich nicht verloren...“ murmelte er, während er die Stufen erklomm. - „Rache ist süß...“ grummelte sie schmunzelnd, als sie begann, in ihrer Reisetasche zu wühlen.

Paddy hatte schon saubere Sachen unter den Arm geklemmt und kletterte damit zu seiner Koje hoch, um sich in dem äußerst beengenden Bereich umzuziehen.

Mach mal Platz!“ forderte sie, als sie ihm folgte.

Sie hatte sich gerade neben ihn gesetzt, da zog er auch schon den Vorhang hinter ihr zu.

Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“ fragte er, wartete allerdings ihre Antwort gar nicht ab, sondern zog ihr gleich den Pullover über den Kopf.

Alles war so nass, dass sie es gleich auf den Boden den Busflures warfen. Gleich danach folgte auch ihr BH und gab Paddy einen ungehinderten Blick auf ihren zitternden Oberkörper frei.

Netter Anblick...“ flüsterte er grinsend, als er ihre Brustwarzen betrachtete. - „Witzig, mir ist kalt, Mann...“ - „Dem kann abgeholfen werden.“

Er beugte sich über sie, so dass sie sich hinlegen musste, und half ihr aus der klammen Hose, die ebenfalls den Weg auf den Boden fand.

Seine warmen Lippen berührten ihre eisige Haut, die von eine Gänsehaut überzogen war und nur Sekunden später spürte Mel die Kälte, die sie eben noch so beherrscht hatte, nicht mehr.

Ey, das ist doch nicht euer Ernst!!“ keifte Angelo auf einmal auf dem Gang. „Wenn ich sehe, was hier an Klamotten liegt, könnt ihr nichts mehr an haben! Könnt ihr nicht mit euren Schweinereien warten, bis ihr unter euch seid?!“

Paddy kicherte und streckte seinen Kopf raus. „Kleiner, verzieh dich. Mach dir keinen Kopf, ich will doch nur spielen....“ - „Ja, genau das befürchte ich ja!“ - „Los, hau ab jetzt!“ versuchte Paddy ihn wegzuscheuchen und verschwand wieder in die Koje.

Paddy?“ hörte man wenig später eine quietschige Stimme auf dem Flur. „Paddy, kann ich auch mitspielen?“

Sean war nicht zu verwechseln, doch die Stimmen, die unmittelbar danach ganz in der Nähe lachten, waren nicht so eindeutig zuzuordnen.

Mel schob Paddy von sich und zerrte erschrocken die Decke über die Brust.

Genervt stöhnte er und suchte seine frischen Sachen, die er ans Fußende gepackt hatte. Mit Entsetzen musste er feststellen, dass sie nicht mehr dort lagen und vermutlich auf den Flur hinaus gefallen waren, während sie sich ausgezogen hatten.

Panisch schaute er durch den Vorhang, doch der Boden war leer. Völlig leer. Sogar ihre dreckigen Kleider waren nicht mehr dort.

Angelo!!“ brüllte er, so laut er konnte. - „Ja?“ fragte dieser in einem engelsgleichen Tonfall, als er näher kam. - „Wo sind unsere Klamotten??“ - „Ich weiß nicht, wovon du sprichst...“ - „Das weißt du aber ganz genau!“ - „Nö.“ Er grinste, war aber kurz davor, sich nicht mehr halten zu können.

Pad, was meinst du damit?“ drang Mels Stimme dumpf aus der Koje. - „Wie, was meine ich damit? Unsere Sachen sind weg!“ - „Was?? Du meinst, ich bin nackt und kann hier nicht mehr raus?!“ rief sie so laut, dass es unglücklicherweise der halbe Bus mitbekam.

Schallendes Gelächter brach in einiger Entfernung aus und ließ Mel hinter zugezogenem Vorhang knallrot anlaufen.

Paddy, mach doch was!“ - „Ich kann nichts machen! Ich werde bestimmt nicht nackt durch den Bus rennen!“ - „Das halte ich auch für eine ausgesprochen doofe Idee...“ sagte Jimmy leise, während er an der Koje vorbei ging und scheinbar völlig beiläufig den Fotoapparat von einer Hand in die andere warf.

Mel hatte einen Blick auf ihn erhascht, als sie unter Paddys Arm hindurch blickte. Sie wollte gerade los brüllen, als Angelo sich wieder zu Wort meldete. „Oh, ich glaube, ich habe euren Kram gefunden. Guck mal, da hinten liegt er.“

Er lehnte lässig gegen die gegenüberliegende Wand und zeigte auf einen Haufen Stoff, der fast vorne beim Fahrer lag.

Angelo, bring ihn her!“ befahl Paddy, doch sein Bruder schüttelte den Kopf. „Ist das denn der richtige Weg, um zu seinem Willen zu kommen?“

Paddy biss wütend die Zähne zusammen, doch seine Mundwinkel zuckten immer wieder nach oben, als er tief durch atmete. „Hol unsere Sachen! ….bitte!“ - „Das klingt ja schon besser, aber ich glaube, ich habe da gerade gar keine Zeit für.“ - „Angelo!“

Am liebsten wäre er dem Jüngsten direkt an den Hals gesprungen, doch seine Blöße konnte ihn gerade noch davon abhalten. Da fiel sein Blick auf Sean, der neben seinem Onkel stand und sich das Schauspiel verwirrt anschaute.

Seany, bring mir doch bitte mal die Sachen, die dort hinten auf dem Boden liegen, ja? Das machst du doch sicher gerne für deinen Paddy, oder?“

Unsicher wand sich der Vierjährige hin und her. „Anschlo hat gesagt, ich darf das nicht.“ - „Was?“ Fassungslos starrte er seinen Bruder an. „Du kannst doch nicht das Kind auf deine Seite ziehen!“ - „Ach, was hast du denn gerade versucht?“

Paddy kniff die Augen zusammen und setzte bei Sean zu einem neuen Versuch an. „Seany, du musst nicht auf Angelo hören. Der will uns nämlich nur ärgern, verstehst du?“ - „Aber er hat gesagt, er kauft mir eine Actionfigur, wenn ich euch die Sachen nicht bringe.“ erklärte er verlegen. - „Sean, ich kauf dir zwei, wenn du mir nur meine Hose jetzt bringst!“ - „Und ein Fahrrad.“

Paddy bekam den Mund nicht mehr zu. „Was?!“ - „Ich will ein Fahrrad. Mama kauft mir keins.“ - „Himmel, dann bekommst du eben...“ erwiderte er ungeduldig, doch Mel unterbrach ihn und zwängte ihren Kopf an ihm vorbei.

Angelo, verdammte Scheiße! Seh zu, dass du deinen Arsch zu den Klamotten bewegst und sie herbringst! Wenn ich nicht binnen weniger Sekunden, was zum Anziehen habe, hau ich dich um!“ schrie sie und funkelte ihn böse an. - „Aber du bist nackt!“ - „Ich weiß! Vielleicht macht dir das ja noch ein bisschen mehr Angst! Und jetzt setz dich in Bewegung!“

Man sah, wie es in seinem Kopf ratterte, doch schnell hatte er seine Entscheidung getroffen und Mel und Paddy ihre Sachen wieder.

Na bitte, warum nicht gleich so?“ grinste Mel und schlüpfte in ihren Hose, während Angelo wie ein geprügelter Hund von dannen zog.

Als sie sich vollständig wieder angezogen hatte, ging sie zu den anderen nach hinten. Unter feixenden Blicken bekam ihre Hautfarbe wieder einen dezenten Rosaton, doch dann trafen ihre Augen auf Tina.

Hey! Du hättest mir ruhig mal helfen können!“ meckerte sie, nicht nur um von ihrer Verlegenheit abzulenken. - „Ich wollte, aber ich konnte nicht! Joey hat mich festgehalten!“ rechtfertigte sie sich.

Joey zog den Kopf ein, rechnete er nun mit einem Wutausbruch von Mels Seite, doch sie grinste nur. „Auch dir sage ich, Rache ist süß. Vielleicht sollte ich sammeln und irgendwann eine Familienrache verüben.“ - „Oh, ich zitter schon.“ spottete er. - „Ja, noch lachst du, aber warte ab...“

Sie setzte sich auf die Kante des Sofas, doch lange konnte sie sich nicht mehr ausruhen, denn bald passierten sie das Ortsschild von Kiel.


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Kommentare: 13
  • #1

    paddy90 (Mittwoch, 20 Mai 2009 00:44)

    angelo is in der geschichte so klasse :D

  • #2

    melsgesammeltekatastrophen (Mittwoch, 20 Mai 2009 01:44)

    Danke, :D Aber die Szene ist auch echt gut :D Wenn ich das mal so sagen darf ;D

  • #3

    Paddys_Angel (Dienstag, 04 August 2009 18:12)

    ohjaa die szene ist echt verdammt gut geworden ;D
    ich musste sooo lachen ;D
    "Paddy kann ich auch mitspielen?" ;D

  • #4

    nicky (Dienstag, 14 September 2010 12:05)

    ja ich musste total lachen .... *hihi* echt ne tolle Szene!
    „Wenn ich sehe, was hier an Klamotten liegt, könnt ihr nichts mehr an haben!
    fand ich aber auch nicht schlecht!

    das Ende rückt immer näher aber weiter geht es mit Kapitel 73!

  • #5

    Pharell (Mittwoch, 15 September 2010 23:06)

    ja schade so langsam nähert sich das ende....ich werde nun ein bischen weniger lesen .um die das noch so gut es möglich aufzuteilen...aber vlt sind deine anderern geschichten ja auch so klasse???

  • #6

    melsgesammeltekatastrophen (Mittwoch, 15 September 2010 23:22)

    Naja wie gut sie sind, müssen die anderen beurteilen.
    Märchenhaft ist, wie der Name schon sagt, ein Märchen. Eine Kelly-Märchen-Collage. Eine Kurzgeschichte.

    As pure as one can be ist eine Angelo Geschichte, die ich sehr mag, sie ist aber noch nicht abgeschlossen. Find sie recht komisch.

    Erwacht ist eine Paddy Geschichte, die um 2002 oder so spielt. Ich mag sie auch gerne, aber sie ist noch nicht fertig und eher weniger lustig.

    Am Ende der Zeit ist eine Angelo Kurzgeschichte.

  • #7

    Die Micha (Donnerstag, 16 September 2010 00:48)

    Echt gelungen!!!

  • #8

    holla die waldfee (Montag, 04 Juli 2011 03:41)

    ich könnte jedesmal tränen lachen. du beschreibst aber auch alles so schön, dass man sich immer mitten im geschehen sieht.

  • #9

    Bella (Samstag, 01 Oktober 2011 01:52)

    Ich hab grad so gelachat :-) Besonders an der Stelle als Jimmy mit der Kamera in der Hand vorbei geht und meint dass sei eine doofe Idee jetzt da nackt raus zu kommen :-) Ich stell mir grad vor, wie Paddy nackt durch den Bus läuft und Jimmy ihm mit der Kamera hinterher lol

  • #10

    Resa (Freitag, 25 Januar 2013 21:35)

    also ich hätte mich da nicht entspannen können.vor allem weil alle anderen mit im Bus sitzen.und wenn ich mir das innere des Busses ins Gedächtnis rufe. autsch!!8-o

  • #11

    Katrinka (Donnerstag, 07 März 2013 10:32)

    Ach, ein Brief für Barby :-)

    „Paddy, kann ich auch mitspielen?“

    Einfach genial :-)

    Wobei ganz ehrlich - im Bus mit seinen ganzen Geschwistern, die nun mal so richtig neurgierig sind - also ich hätte da nicht "gespielt" :-)

  • #12

    Micha (Sonntag, 31 März 2013 15:05)

    zum totlachen...angelo hat gesagt er kauft mir eine actionfigur...hihi...herrlich...schöne lustige geschichte

  • #13

    Marie (Donnerstag, 04 April 2013 21:03)

    hahahahhahaa ich hab so gelacht ey :'D