Auf den Tisch

„Hey Paddy, wieso hast du deine neueste Frisur gar nicht zur Schau gestellt? Ich gebe zu, es juckte mir in den Fingern, mal ein wenig an dem Kopftuch zu ziehen.“ Jimmy kicherte, als er sich aufs Sofa fallen ließ.

„Ach halt bloß die Klappe! Ohne dich wäre das doch gar nicht passiert!“

„Will jemand einen Kaffee?“ mischte Carlos sich ein und blickte in die Runde. Die meisten nickten, als auf einmal ein schrilles Klingeln Maite nach ihrem Handy greifen ließ.

Sie stand auf und ging ins Nebenzimmer, während sie abnahm.

Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkehrte.

„Leute, hört mal zu. Das war Kira. Angelo liegt im Krankenhaus. Er hat eine ziemlich schwere Lungenentzündung.“

„Scheiße! Mit dieser Familie hat man nur Ärger! Kann es nicht einmal ohne Probleme ablaufen?!“ Seufzend blickte Kathy Maite an. „Und wie geht’s ihm?“

„Es geht so. Er hat wohl Fieber senkende Medikamente bekommen. Im Moment hält er sich ganz gut. Kira ist bei ihm im Krankenhaus.“

„Okay, der Flieger ist eh für morgen früh gebucht. Dann sollten wir mal sehen, dass wir alle ins Bett kommen. Gute Nacht euch.“

Kathy verzog sich in ihr Zimmer, doch die anderen setzten sich noch ein wenig mit John, Maite und Carlos zusammen. Sie wussten schließlich nicht, wann sich mal wieder die Gelegenheit dafür ergeben würde.

 

„Kleine, was ist eigentlich mit dir los?“ Ruhig strich Lena mit der Hand über die erhabenen Knöchel von Mels Handrücken.

„Was soll los sein?“ Sie zuckte mit den Schultern, so gut es ging. „Mir geht’s doch schon wieder einigermaßen.“

„Schatz, sieh dich an. Findest du das normal?“

Jetzt kicherte sie ernsthaft. „Ne, eigentlich finde ich die ganzen Verbände und das nicht normal, aber im Moment lässt sich das nicht ändern. Meine Haare machen mir da aber mehr zu schaffen, doch das wird schon wieder werden irgendwann. Hoffe ich.“ Untermalend zupfte sie mit einer Hand an den Stoppeln auf ihrem Kopf. Sie lächelte, bis ihre Augen auf das besorgte Gesicht ihrer Mutter traf.

„Ach Ma! Komm schon, das war ein Unfall! Freu dich, dass ich Glück im Unglück hatte! Naja und vielleicht auch einen Engel, der mich gerettet hat.“

Lena schnaufte leise. „Ich schätze, ich freue mich mehr als irgendjemand sonst, aber das meinte ich nicht...“

Doch sie kam nicht weiter, denn in dem Moment ging die Tür auf und Tom, der Pflegeschüler, kam herein.

„Hallo Mel!“

„Hi! Was treibt dich denn her?“

„Ich habe gehört, hier benötigt jemand Waschhilfe...“

„Das muss ein Zimmer weiter sein.“

Und ehe sie auch nur entrüstet spielen konnte, reichte er ihr einen Umschlag und einige Röntgenbilder.

„Voilà! Deine All Inklusive Rundreise mit Schwerpunkt Deutschland.“

„Muss ich das im Flugzeug vorzeigen?“

Er schüttelte lachend den Kopf.

„Nein, die werden sich kaum für deinen Arztbrief interessieren. Doch hauptsächlich bin ich hier, um mich zu verabschieden. Ich wünsche dir alles Gute, werde wieder ganz gesund! Und in deinem Sinne hoffe ich, dass wir uns nicht wiedersehen.“

„Danke, das ist lieb! Pass auf dich auf und viel Erfolg noch! Bleib so wie du bist!“

Er nickte dankbar, hob noch einmal flüchtig die Hand zum Abschied und schlüpfte zur Tür hinaus.

Sichtlich beeindruckt von dem jungen, dunkelhaarigen Mann sah Lena ihre Tochter an.

„Wer war das denn?“

„Das war nur einer der Pflegeschüler. Ein netter Kerl.“

„Ihr hörtet euch an, als wärt ihr alte Freunde.“

„Das täuscht. Aber das ist eine längere Geschichte und ehrlich gesagt, würde ich jetzt gerne ein wenig schlafen.“

„Okay, Liebes. Dann erhol dich. Morgen wird anstrengend genug für dich!“

„Ja, bestimmt. Aber vor allem wird morgen auch toll! Endlich wieder nach Hause!“

Sie lächelte, während sie die Augen schloss und sah nicht mehr, wie Lena nachdenklich nickte, bevor sie die Unterlagen vom Bett auf die breite Fensterbank legte und ging.

 

 

„Wie bitte? Das kann unmöglich Ihr ernst sein! Ich bin doch schon wieder absolut fit!“

„Beruhige dich bitte! Wenn die Ärzte das für notwendig erachten, dann solltest du auf deren Meinung vertrauen, finde ich.“

Beschwichtigend legte Kira ihre Hand auf Angelos, doch so richtig nahm er das nicht wahr.

„Ich mich beruhigen? Ich muss morgen ins Studio!“

Kopfschüttelnd lachte der wortführende Arzt der Visite und steckte Stirn runzelnd seinen Kugelschreiber in die Brusttasche.

„Sie werden uns wie gesagt noch mindestens eine Woche erhalten bleiben. Sie können gerne singen, aber das einzige Mikrofon, das dies aufnehmen wird, dürfte das ihres Handys sein. Herr Kelly, erholen Sie sich erst einmal. Dann sehen wir weiter.“

Er nickte zum Zeichen, dass er damit alles gesagt habe und wollte gerade weitergehen, als Angelo energisch die Bettdecke zur Seite schlug.

„Wieso erholen? Es geht mir wirklich gut. Sie können mich nicht zwingen, hier zu bleiben. Kira, bring mich bitte nach Hause.“

Aber in dem Moment, als er seine Beine über die Bettkante schwang und auf den Boden setzen wollte, wurde er schlagartig bleich im Gesicht und kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Der Doktor ließ abrupt seine Unterlagen fallen, um Angelo unter die Arme zu greifen, als dieser vom Bett zu rutschen drohte.

„Hinlegen und erholen. Haben wir uns da verstanden?“ fragte er nachdrücklich, als er den jüngsten Kelly zurück in die Waagerechte bugsierte.

„Ja ja.“ brummte Angelo und seine Finger zitterten, als er sich über die feuchte Stirn strich und den Arzt keines Blickes mehr würdigte.

 

 

Eigentlich war das gar nicht so schlecht. Es war auf jeden Fall einmal etwas anderes!

Auf Zehenspitzen wand er sich hin und her, während er sich im Spiegel der kleinen Flugzeugtoilette betrachtete. Dann zog er sich das Kopftuch von den Haaren, gefolgt vom Haargummi und schüttelte das Haupt, bis seine Mähne in großen pflaumigen Locken über seine Schultern fielen. Grinsend wusch er sich die Hände und ging wieder zu seinen Geschwistern zurück.

„Paddy, hast du eigentlich eine Wette verloren, oder was?“ Grölend schlug Kathy sich die Hand vor den Mund.

„Nein, nicht direkt.“

„Sondern? Indirekt?“

„Das trägt man jetzt so.“

„Sagt wer?“

„Das ist der letzte Schrei aus Paris!“

„Wann warst du denn zuletzt in Paris?“

„Muss in den 80ern gewesen sein.“ warf Jimmy feixend ein.

„So um und bei.“ stimmte Paddy zu, fischte mit den Fingern die Reste der Eiswürfel aus seinem Glas und warf sie nach seinem Bruder, doch der ging rechtzeitig in Deckung. „Immerhin habe ich meinen Kopf nicht in Wasserstoffperoxid getaucht.“

„Das ist schon fast wieder rausgewachsen!“

„Das lila wächst sich auch raus.“

„Dauert nur länger. Etwas.“

„Das stimmt allerdings.“ seufzte Paddy und ließ sich die Enden seines lockigen Fauxpas durch die Finger gleiten. „Es sei denn...“ begann er laut zu denken, biss sich dann jedoch auf die Zunge und brach den Satz ab.

„Es sei denn was?“ hakte Maite nach, doch Paddy reagierte nicht, also stieß sie ihn nach einem kurzen Moment in die Seite.

„He! Es sei denn was?“

„Was?“

„Ja eben! Es sei denn was?“

„Maite, wovon redest du?“ Irritiert zog Paddy die Stirn kraus.

„Ich wollte wissen, was du gerade sagen wolltest.“

„Ich habe gerade etwas gesagt?“

„Ach, vergiss es.“ Schmunzelnd lehnte sie sich wieder zurück in ihren Sitz und blickte aus dem Fenster.

 

 

 

„Herzlich willkommen, Frau Kelly! Mensch, das klappt ja schon super mit den Gehhilfen! Klasse!“

Schnaufend blickte Mel in die blauen Augen einer freudestrahlenden Schwester, sobald sie den Stationsflur betraten. „Hallo, ich bin Mel. Ich würde Ihnen ja die Hand reichen, aber das ist gerade etwas schwierig.“ Sie lächelte entschuldigend.

„Kein Problem, folgen Sie mir einfach. Ich zeige Ihnen, wo das Zimmer ist.“ Dann schlenderte sie los, sich bemühend Mel das Tempo vorgeben zu lassen. „Ich bin übrigens Schwester Ines. Aber falls Sie das wieder vergessen sollten, nehme ich Ihnen das nicht übel. Schauen Sie, da sind wir schon!“

Sie drückte den glänzenden Metallgriff einer modernen Holztür hinunter und gab ihr einen sanften Schubs, damit sie sich ganz öffnete.

„Hereinspaziert in die gute Stube!“

Ohne den Kopf zu heben, kämpfte Mel sich zum Bett vor und ließ sich stöhnend darauf sinken. „Puh, das war ganz schön viel.“

Lena nickte, als sie sich an der Schwester vorbei schob und die Tasche vor den Schrank stellte. „Das stimmt. Ich konnte ja auch nicht ahnen, dass man dir keinen Rollstuhl zur Verfügung stellt. Eigentlich ist das eine ziemlich Sauerei.“

„Ma, ich habe es ja geschafft. Gibt also keinen Grund, sich jetzt aufzuregen.“ bremste Mel sie, bevor sie sich richtig in Rage reden konnte.

„Und sie wollen doch wieder fit werden. Sie dürfen sich bloß nicht übernehmen. Immer Stück für Stück zum großen Glück. Auch mit kleinen Schritten kommt man ans Ziel.“

Die Schwester lächelte Lena freundlich an und schien gar nicht recht mitzubekommen, dass deren Zornesfalte zwischen den Augenbrauen immer tiefer wurde. Oder sie ignorierte es einfach konsequent, denn auch auf Mel, die hinter dem Rücken ihrer Mutter so sehr herumgestikulierte, dass sie Gefahr lief, sich einen oder sogar diverse Muskeln zu zerren, reagierte sie nicht.

Doch in dem Moment als Lena Luft holte, um dem hiesigen Pflegepersonal mal so richtig die Meinung zu geigen, kam Ines ihr zuvor.

„Mel, haben Sie Hunger?“

„Ja, ganz fürchterlich!“ antwortete sie lachend und beobachtete amüsiert, wie die Schwester von dannen flitzte.

 

 

„Was machst du denn hier?“ Überrascht blieb Paddy stehen, 

als er im Foyer des Krankenhauses auf Kira traf.

„Ja, hallo erst einmal.“ 

Sie lächelte müde und umarmte ihn flüchtig. „Ich will zu Angelo. Er hat in Rostock einen riesigen Aufstand gemacht, weil er dort bleiben sollte. Und auch wenn der Arzt ihn nicht nach Hause lassen wollte, so haben sie ihn wenigstens nach einigem Gezeter hierher nach Köln verlegt. Und ihr seid offensichtlich wieder da. Was treibt dich hierher, wenn du nichts von Angelo wusstest?“

„Sie haben Mel ebenfalls heute Morgen verlegt. Ich habe sie vorhin nur kurz am Telefon gehabt, sie meinte lediglich, dass sie ganz gut angekommen sei.“

Er stutzte und legte Kira die Hand auf den Arm. „Ist alles okay? Du bist auf einmal so blass um die Nase! Setz dich mal lieber.“ Er wollte sie gerade Richtung Stuhl dirigieren, als sie sich die Hand vor den Mund schlug und ohne ein Wort der Erklärung davonrannte.

Besorgt folgte er ihrem Weg, bis er vor einer Toilettentür zum Stehen kam und beschloss zu warten.

Als sie wieder herauskam, war sie nicht mehr ganz so zittrig, aber ihre Gesichtsfarbe war noch nicht viel rosiger geworden.

„Geht´s dir besser?“

Sie nickte matt.

„Bist du krank? Du gehörst ins Bett! Soll ich dich nach Gymnich fahren?!“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, es geht schon, danke.“

„Kira...“ Forschend ruhten seine Augen auf ihr, doch sie wich ihm kontinuierlich aus.

„Ich muss jetzt zu Angelo, bevor er den Ärzten an die Gurgel springt.“

Sie wollte an ihm vorbei, doch er hielt sie vorsichtig am Ärmel fest.

„Weiß er es?“

Sie atmete einmal tief durch und schüttelte ohne aufzusehen den Kopf, bevor sie ihren Weg fortsetzte.

 

Als die Schwester mit dem Essenstablett um die Ecke bog, gab Mels Magen ein deutliches Knurren von sich.

„Na, da komme ich wohl gerade im richtigen Moment. Dann lassen Sie es sich gut schmecken.“ Sie räusperte sich leise. „Also soweit man das bei Krankenhausessen überhaupt sagen kann.“

„Danke.“ Mel hatte es sich inzwischen unter der Decke gemütlich gemacht, wo sie sich nun das Betttischchen bis vor die Brust zog. Sie hatte nicht vor, das alles in sich hineinzustopfen, aber etwas musste sie essen. Das teils euphorisierende Gefühl des völlig leeren Magens hatte sich im Laufe des Vormittags in eine Dumpfheit gewandelt, die jederzeit in massive Übelkeit umschlagen konnte. Und es war weder angenehm Galle zu spucken, schon gar nicht, wenn ihre Mutter dies mitbekommen würde, noch würde sie es schnell genug zur Toilette schaffen.

Also begann Mel zunächst mit der Gabel motiviert die drei Blätter des Beilagensalates zu verschlingen. Sogleich dankte es ihr ihr Körper mit einschießendem Speichel in den Mundraum.

„Sieht doch gar nicht so schlecht aus. Zumindest für Krankenhausessen, um mal die seltsame Schwester zu zitieren.“

„So seltsam war die doch gar. Aber ich wundere mich, dass in jedem Krankenhaus Hühnerfrikassee auf dem Speiseplan steht. Ich meine, ich mag das ja, aber stell dir vor, ich hätte einen Tatter oder so.“

„Tremor.“

„Was bitte?“

„Tremor nennt man das.“ erklärte Lena und räumte nebenbei ein paar Kleidungsstücke in den Schrank.

„Mir auch recht. Die Frage bleibt eher, wie man damit Reis essen sollte, fällt doch alles daneben, bevor es am Mund ist.“

„Du machst dir seltsame Gedanken...Aber es gibt doch auch andere Gerichte zur Auswahl. Allerdings wohl nicht für dich. Kann mich nicht erinnern, dass sie dich nach irgendeinem Wunsch gefragt hätte.“

„Hat sie auch nicht.“

„Siehst du, die war merkwürdig.“

„War sie gar nicht. Ich fand sie sehr nett. Das mit dem Frikassee war wohl Intuition.“

„Floskeln dreschen und einseitige Weisheiten verbreiten ist offenbar das einzige, was die von sich gibt.“

„So ein Quatsch. Du magst sie nur nicht, weil sie nicht den gleichen Humor hat wie du.“

„Ach, was hab ich denn für einen Humor?“

„Gar keinen.“ Mel zwinkerte achselzuckend. Dann schob sie sich noch einen letzten Löffel zwischen die Zähne und deckte den restlichen Tellerbelag mit der Plastikhaube wieder zu.

„Das tat gut. Und nun ein kleines Verdauungsschläfchen.“

„Hat Paddy sich schon gemeldet?“ Lena hatte die leere Reisetasche unten in den Schrank gestellt und hob nun wie beiläufig den Deckel vom Teller hoch. Sie rümpfte die Nase. „Also viel hast du ja nicht gerade gegessen.“

„Ja, er hat sich gemeldet. Wir haben vorhin ganz kurz telefoniert. Er wollte irgendwann nachher vorbeikommen.“

Lächelnd drehte sie sich auf die Seite und zog die Decke bis zur Nasenspitze und war binnen Sekunden im Land der Träume.

 

 

Kira blieb stehen und drehte sich langsam zu Paddy um, der ihr bis zu Angelos Zimmer gefolgt war.

„Paddy, bitte sag es ihm nicht. Ich weiß noch nicht, wann und ob ich es ihm sage.“

„Was heißt hier ob? Kira, du musst es ihm sagen!“

„Ich weiß. Aber ich weiß nicht wie. Es ist dieser typische Fall von „Ich will nicht, dass er nur deswegen bei mir bleibt.“ Verstehst du?“

„Natürlich. Aber Kira, der Typ hat bei arktischen Temperaturen in deinem Vorgarten gecampt, bis er ins Krankenhaus musste!“

„Und wenn das nur das schlechte Gewissen war? Er ist irgendwie so komisch. Erst macht er so ein Mist und dann hängt er sich an mich, als hätte es nie eine andere gegeben.“

„Hat es doch bis dahin auch nicht.“ erwiderte er nachdrücklich, verschluckte dann aber den Rest von dem, was er hatte sagen wollen. Bis vor ein paar Wochen hatte er noch auf alles, was ihm heilig war, geschworen, dass es für Angelo nie eine andere gegeben hatte und auch nie geben würde, doch jetzt wusste er es leider besser und war sich nicht einmal sicher, wie viel Angelo wirklich noch an Kira lag und wie viel seinem schlechten Gewissen zuzuschreiben war. Und jetzt wurde er auch noch Vater und wusste nichts davon. Es wurde irgendwie immer besser.

Innerlich verdrehte er die Augen, ließ nach außen jedoch nur ein leises Seufzen entweichen.

„Na komm, lass uns schauen, wie es ihm geht.“

Als sie das Zimmer betraten, sahen sie gerade noch Angelos ausgestrecktem Arm, in dem eine Kanüle steckte, dann fielen ihre Blicke auf sein Gesicht, dessen verdrehte Augen zur anderen Seite gerichtet waren.

Erschrocken sprangen sie auf ihn zu.

„Kleiner, alles klar?“

„Ja, so weit schon. Aber ich kann doch kein Blut sehen! Und mir wird immer so anders, wenn man versucht, mich wie eine Vodoopuppe mit Nadeln zu spicken. Boa, is mir schlecht.“

„Ich schick gleich eine Schwester, die kann Ihnen etwas gegen Übelkeit geben.“ Eine rothaarige Medizinstudenten klaubte sich hinter dem Bett vom Boden auf und war nun dabei, sich den Staub von den Knien zu klopfen.

„Huch, wo kommen Sie denn her?“

„Ach, mir war nur der Stauschlauch unters Bett gefallen.“ entschuldigend strich sie sich unbeholfen durch die Haare.

„Ähm, könnten Sie mir noch einen Gefallen tun?“ brachte Angelo gepresst hervor.

„Aber sicher, worum geht’s?“

„Nehmen Sie endlich dieses Ding aus meinem Arm!“

„Oh, natürlich!“ Dezent rosé um die Nase entfernte sie die Kanüle und klebte ein kleines Pflaster auf die Stelle, bevor sie ihre Blutröhrchen nahm und das Zimmer verließ. Zurück blieb ein einsamer Stauschlauch auf dem Nachttisch.

„Was war das denn?“ Paddy zog sich lachend einen Stuhl ans Bett.

„Annemarie oder so heißt sie.“

„Klingt wie Anomalie. Da ist der Name Programm.“

„Ach, sie hat gerade erst gestern hier ihren ersten Tag gehabt. Ist wohl noch ein wenig nervös.“

„Ein wenig?! Wie kann man so jemand allein auf die Menschheit loslassen? Hier nimm mal einen Schluck, vielleicht hilft das schon.“ Kira reichte ihm ein Glas Wasser und setzte sich ebenfalls.

Zusammen mit einem erfreuten Lächeln kehrte auch ein wenig Farbe wieder in sein Gesicht zurück. Vorsichtig streckte er den Arm aus und versuchte ihre Finger zu berühren.

„Ich freue mich, dass ihr da seid. Wir kriegen das schon wieder hin.“

Kira täuschte ein Hüsteln vor, um ihm unauffällig die Hand zu entziehen. Ihre Unsicherheit wand sich in ihrer Brust. Was sollte sie nur tun?

„Angelo...“

„Nein, Kira! Wirklich! Es wird alles wieder gut! Es tut mir so leid, was passiert ist!“

Da war es wieder. Das schlechte Gewissen, das aus ihm sprach. Oder war da doch noch mehr? Vielleicht tat es ihm wirklich nur deshalb so leid, weil er Angst hatte sie zu verlieren. Und weil er erst jetzt begriff, wie viel er verlieren würde! Aber vielleicht hatte er auch nur Angst, sich verändern zu müssen. Viele Menschen haben Angst vor Veränderung, davor alleine klar kommen zu müssen. Doch vielleicht musste er das ja gar nicht.

„Was ist mit Tirza?“

„Was soll mit ihr sein?“

„Was für eine blöde Frage. Ihr werdet euch wiedersehen. Wenn nicht privat, dann doch im Studio.“

„Ich werde einen großen Bogen um sie machen. Ich werde sie nicht einmal ansehen!“

„Ach, das ist doch naiv! Du weißt, dass das nicht geht. Und ich weiß, wie sie drauf ist. Die frisst dich doch mit Haut und Haaren!“

„Wie bitte?“

„Das hat sie doch neulich schon! Da konntest du dich doch auch nicht wehren!“

„Nein, so war das nicht!“

„Hast du etwa angefangen?“ Entgeistert stand Kiras Mund offen.

„Ähm, ich geh mal zu Mel.“ warf Paddy leise dazwischen und wollte gerade aufbrechen, um den beiden ein wenig Privatsphäre zu gönnen, doch Angelo horchte auf.

„Wieso Mel?“

„Die ist heute auch hierher verlegt worden.“ erklärte Kira und verschränkte die Arme, während sich die Tür hinter Paddy schloss.

 

 

Eine wohlbekannte Stimme schlug ihm entgegen, als er in Mels Zimmer kam. Seine eigene.

„Hallo Schatz, wie schön, dich zu sehen! Guck mal, da läuft ein Best of, sie bringen gerade An Angel.

Mit kindlicher Freude deutete sie mit der einen Hand auf den laufenden Fernseher und zog ihn mit der anderen zu sich aufs Bett.

„Oh, ist das lange her.“

„Das kannst du laut sagen.“ stimmte er ihr nachdenklich zu.

„Hach, du hast so gut ausgesehen! Vor allem jetzt, genau da! Vor dem Fenster, mit dem hellen und dem braunen und der Lederhose und....“ Laut seufzend fingen ihre Augen an zu träumen.

„Meine Hose sieht man doch gar nicht. Vielleicht hatte ich ja gar keine an.“

„Natürlich hattest du eine an. Das hat man doch in den anderen Szenen schon gesehen!“

„Ja, das heißt aber nicht automatisch, dass das hier auch so ist, ne.“

„Ist ja auch egal, auf jeden Fall stand dir das richtig gut!“

„Das heißt also, jetzt sehe ich nicht mehr gut aus?“

„Haha, natürlich siehst du...“ Und endlich konnte sie ihre Augen vom Bildschirm lösen, als der Spot vorüber war. „Oh mein Gott! Wie siehst du denn aus?“

Sie musterte buchstäblich jedes einzelne seiner farbigen Haare, während sie ungläubig den Kopf schüttelte.

„Och, das ist eine lange Geschichte.“

„Das glaube ich. Und irgendwas gibt mir das Gefühl, dass ich diese Geschichte zum Schreien komisch finden werde!“ Kichernd wischte sie sich winzige Tränchen aus den Augenwinkeln.

„Schieß los!“

Er biss sich grinsend auf die Unterlippe und holte tief Luft, um zu erzählen...